ÖkonomiederMedieninhalte

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Ökonomie der Medieninhalte.
Allokative Effizienz und Soziale Chancengleichheit in den Neuen Medien
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2.2 Nutzung und Nachfrage

2.2.1 Motive der Inhaltenutzung

2.2.1.1 Der Nutzenansatz

Die Kommunikationswissenschaft hat eine Vielzahl von Theorien hervorgebracht, die Phänomene der Massenkommunikation zu erklären versuchen. Hiervon scheinen die aus dem Nutzenansatz (uses and gratifications approach) hervorgehenden Theorien am besten geeignet zu sein, um die ökonomi->>12<< sche Nachfrage nach Medieninhalten zu erklären. In der Forschung stellen sie die Frage: ,,Was machen die Menschen mit den Medien?" (Maletzke 1988: 24) Der Nutzenansatz beruht daher auf der Annahme, dass die Medienkonsumenten aktiv an der Entscheidung darüber, welche Inhalte sie aufnehmen, beteiligt sind. Merten (1984: 66) erklärt dazu weiter:

    ,,Das impliziert tendenziell einen nicht mehr asymmetrischen, von Kommunikatorintentionen gesteuerten Kommunikationsprozeß, sondern einen symmetrischen Kommunikationsprozeß, an dem sowohl Kommunikator als auch Rezipient teilnehmen. Dies ist die basale Annahme des `uses and gratifications approach'. Die weiteren Annahmen sind:
    - Die Handlungen des Publikums erfolgen zielgerichtet und intentional.
    - Die Zuwendung zu Medien wird gesteuert durch einen Typus von Nutzen-Kalkulation.
    - Medien-Nutzung stellt einen Akt der Bedürfnis-Befriedigung dar und ist von daher nur im Kontext alternativer Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung zu verstehen.
    - Rezipienten sind sich ihrer Bedürfnisse und Motive zur Mediennutzung bewußt."

Palmgreen (1984: 55) ergänzt den Nutzenansatz um einen ,,Erwartungs/Bewertungsansatz", der die Entscheidungen eines nach Bedürfnisbefriedigung (Gratifikationen) strebenden Individuums ,,als eine Funktion (1) einer Erwartung (oder Vorstellung) [. . .] und (2) einer Bewertung" betrachtet. Dabei entspricht die Erwartung ,,der wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit, daß ein Objekt eine bestimmte Eigenschaft hat oder daß ein Verhalten eine bestimmte Folge nach sich zieht". Die Bewertung bedeutet dagegen ,,die Stärke einer affektiven Einstellung, positiv oder negativ, gegenüber einer Eigenschaft oder der Folge eines Verhaltens." Während die Bewertungen als relativ unbeeinflussbare Persönlichkeitsmerkmale gelten, werden die Erwartungen ständig durch die wahrgenommenen erhaltenen Gratifikationen verstärkt, abgeschwächt oder grundlegend verändert. Insofern besteht durchaus eine Rückwirkung der Medien auf das Verhalten der Nutzer. (Vgl. Palmgreen 1984: 55f)


2.2.1.2 Bedürfnisse der Nutzer von Medieninhalten

Nach den Theorien des Nutzenansatzes bestehen die Ursprünge der Rezipientenabsicht in verschiedenen Bedürfnissen, die mit dem Medienkonsum befriedigt werden können. In der Kommunikationswissenschaft sind dabei Unterscheidungen zwischen (1) physischen, psychischen und sozialen, (2) kognitiven und affektiven oder (3) integrativen und interaktiven Bedürfnissen üblich. Schulz (1994: 164f) gibt eine beispielhafte Aufstellung wieder, welche ursprünglich von McQuail (1983: 82f) entwickelt wurde und die einzelnen Bedürfnisarten konkretisiert:

    ,,Informationsbedürfnis
    - Orientierung über relevante Ereignisse in der unmittelbaren Umgebung, in der Gesellschaft und in der Welt >>13<<
    - Ratsuche zu praktischen Fragen, Meinungen, Entscheidungsalternativen
    - Befriedigung von Neugier und allgemeinem Interesse
    - Lernen, Weiterbildung
    - Streben nach Sicherheit durch Wissen

    Bedürfnis nach persönlicher Identität
    - Bestärkung der persönlichen Werthaltungen
    - Suche nach Verhaltensmodellen
    - Identifikation mit anderen (in den Medien)
    - Selbstfindung

    Bedürfnis nach Integration und sozialer Interaktion
    - sich in die Lebensumstände anderer versetzen (soziale Empathie)
    - sich mit anderen identifizieren, ein Gefühl der Zugehörigkeit haben
    - eine Grundlage für Gespräche und soziale Interaktion erhalten
    - einen Ersatz für (fehlende) Geselligkeit oder Partnerschaft finden
    - Hilfe bei der Annahme sozialer Rollen bekommen
    - den Kontakt zur Familie, zu Freunden und zur Gesellschaft finden

    Unterhaltungsbedürfnis
    - Wirklichkeitsflucht, Ablenkung von Problemen
    - Entspannung
    - kulturelle oder ästhetische Erbauung
    - Zeit füllen
    - emotionale Entlastung
    - sexuelle Stimulation"

Diese Bedürfnisliste kann ohne Einschränkungen auf die Nutzung der hier betrachteten Medieninhalte übertragen werden. Hinzu kommen die von Computerprogrammen befriedigten Bedürfnisse nach Arbeitserleichterung, die mit den Bedürfnissen wenig gemein haben, welche durch die - traditionell im Mittelpunkt der kommunikationswissenschaftlichen Forschung stehenden - Massenmedien befriedigt werden.


2.2.1.3 Kritik am Nutzenansatz

Den Theorien, die den Konsumenten bei der Erklärung des Medienkonsums in den Mittelpunkt stellen und damit dem Nutzenansatz zuzuordnen sind, wird in der wissenschaftlichen Kritik theoretische Beliebigkeit und ,,Theorielosigkeit" (Merten 1984: 67) vorgeworfen. Die Arbeiten des Nutzenansatzes seien undifferenziert und würden nur das widerspiegeln, was die Konsumenten an Motiven zu haben glauben, ohne dass dies jedoch die ausschlaggebenden Konsumreize seien. Die Konsumenten seien tatsächlich gar nicht in der Lage, die Motive ihres Medienkonsums wiederzugeben. Menschliche Bedürfnisse seien außerdem ,,als sozial unabhängige basale Faktoren der menschlichen Existenz in nur sehr allgemeinen Kategorien formulierbar". Darauf aufbauende Theorien seien daher nicht prognosefähig. (Vgl. Burkart 1998: 227f; Schönbach 1984) >>14<<

Andere Modelle der Medienwirkungsforschung betonen entsprechend, dass der Konsument eher dem Einfluss der Medien ausgeliefert ist. Erst durch das Handeln der Medien könne das Handeln des Konsumenten überhaupt erklärt werden. (Vgl. Burkart 1998: 183-265) So können zum Beispiel viele der Bedürfnisse, die die Medienkonsumenten zu verspüren glauben, ein Produkt der vom Markt selbst bereitgestellten Auswahl an Mediennutzungsmöglichkeiten sein (Entman und Wildman 1992: 12).

Eine Verkürzung des Kommunikationsprozesses auf die vollständige und ausschließliche Steuerung durch den Mediennutzer kann daher nicht vertreten werden. Tatsächlich ist dies aber auch nicht das Ziel der neueren Beiträge zum Nutzenansatz, wie beispielsweise Palmgreen (1984) mit der Rückwirkung der erhaltenen Gratifikationen auf die individuellen Erwartungen zeigte (vgl. auch Merten 1984: 69). Statt dessen ist der Nutzenansatz als notwendige Ergänzung des Wirkungsansatzes der frühen Massenkommunikationsforschung zu verstehen, dessen ,,Stimulus-Response-Modelle" den Medienrezipienten als ,,ein wehrloses Opfer [betrachten], auf das mit massenkommunikativen Stimuli gefeuert wird (bullet-Theorie)". (Merten 1984: 66; vgl. auch Burkart 1998: 228f; und Maletzke 1988: 29)

Eine umfassende Darstellung der Kritik am uses and gratifications approach ist hier ebenso unmöglich wie eine vollständige Darstellung des Nutzenansatzes selbst. Zudem scheinen die Kritik am Nutzenansatz und die ihr zugrunde liegenden alternativen Forschungsansätze für diese eher ökonomisch als kommunikationswissenschaftlich ausgerichtete Untersuchung wenig relevant zu sein. Schließlich geht es bei der ökonomischen Beschreibung der Nachfrage darum, welche Bedürfnisse mit welcher Intensität vorhanden sind und nicht darum, wie diese Bedürfnisse entstanden sind oder wer sie geweckt hat.


2.2.2 Unterschiedliche Verfallraten der Inhaltewerte

Ein Verfall der Werte von Medieninhalten kann auf drei Arten erfolgen:

(1) Der Inhalt veraltet. Das ist besonders relevant für informierende Medieninhalte, deren Wert davon abhängt, dass man mit der Information die eigenen Entscheidungsmöglichkeiten verbessern kann. Wenn sich aber im Lauf der Zeit die Umwelt so verändert, dass überhaupt gar keine Entscheidungen mehr getroffen werden, die durch eine bestimmte Information verbessert werden könnten, ist dieser Medieninhalt wertlos. (Mattessich 1993: 585) So ist zum Beispiel die Information, dass es Sonntag regnet, am Montag sehr viel weniger wert als am Samstag, denn am Samstag kann man noch die für Sonntag gemachten Ausflugspläne ändern - am Montag ist das nicht mehr möglich. Aber auch unterhaltende Inhalte können mit der Zeit veralten: Stile, Ausdrucksweisen und die Mode ändern sich. Ältere Spielfilme wirken daher oft irritierend, und die aufgegriffenen Handlungen scheinen einem viel weniger >>15<< bedeutsam zu sein als sie für die damalige Zeit waren. Nur wenige Filme werden daher zu Klassikern. Computerprogramme können veralten, wenn die für den Betrieb notwendige Hardware nicht mehr produziert wird und Reparaturen der Geräte nicht mehr möglich oder zu teuer werden.

(2) Der Inhalt wird durch einen besseren ersetzt. Dieses Phänomen tritt bei Computerprogrammen häufiger auf als der schlichte zeitabhängige Wertverfall: Das alte Textverarbeitungsprogramm wird nicht mehr geschätzt, weil es eine bessere, neue Version gibt oder weil ein konkurrierendes Unternehmen ein überlegenes Produkt entwickelt hat. Zusätzlich sind die neuen Programme vielleicht nicht mehr kompatibel zu den alten, so dass der Austausch von Dateien und Erfahrungen immer schlechter gelingt.

(3) Der Nutzenwert des Inhalts verbraucht sich. Vor allem für informierende Medieninhalte gilt, dass sie nur beim ersten Hören, Lesen oder Sehen interessant sind. Eine wiederholte Rezeption von Nachrichten zum Beispiel ist dagegen vollkommen wertlos. Ähnliches gilt auch für Spielfilme oder Romane. Man sieht oder liest sie ein einziges Mal, und erst nach einigen Jahren ist man an einem erneuten Konsum interessiert, weil man den größten Teil des Inhalts vergessen hat. Bei Musik ist das Phänomen schwächer ausgeprägt: Einen Popsong kann man, wenn er noch neu ist, mehrere Male am Tag genießen, doch schon bald kann man ihn nicht mehr ertragen. Nur wenige der sehr oft gespielten Hits haben eine so hohe Standfestigkeit, dass sie auch noch nach vielen Jahren gerne und oft gehört werden.


2.2.3 Substituierbarkeit der Medieninhalte

Als Substitut bezeichnet man ein Gut, das denselben Nutzen in gleicher Weise erfüllen kann wie ein anderes Gut, ohne vollkommen gleich zu sein. Die meisten Medieninhalte sind vollständig substituierbar: Computerprogramme können so geschrieben werden, dass sie ohne Verletzung des Urheberschutzes die gleichen Funktionen prinzipiell genau so gut wie ein anderes Programm erfüllen können, und auch Spielfilme können mit anderen Schauspielern und einer anderen Geschichte so produziert werden, dass sie in gleichem Grad der Unterhaltung, Anregung oder Ablenkung dienen können. In den Wirtschaftswissenschaften wird der Grad der Substituierbarkeit mit der Kreuzpreiselastizität ausgedrückt, die angibt, wie stark die Nachfrage nach einem Gut A fällt, wenn der Preis für ein Substitut B gesenkt wird.

Es gibt zwei Arten von vollständig substituierbaren Medieninhalten. Bei der ersten Art ist der Grenznutzen zusätzlich verfügbarer Substitute gleich null. Hierzu gehören zum Beispiel Computerprogramme zur Textverarbeitung, von denen man nur ein einziges benötigt. Ein vollständiges Substitut eines anderen Herstellers würde nur Speicherplatz beanspruchen - eine Hilfe wäre es nicht. Auch informierende Inhalte bieten als Substitute keinen zusätzlichen Nutzen, wenn ihr Inhaltsgegenstand lediglich neu formuliert wurde, ansonsten >>16<< aber identisch ist. Diese Art vollständig substituierbarer Inhalte hat Eigenschaften eines natürlichen Monopols, da das Angebot von Substituten den von allen Konsumenten erzielten Gesamtnutzen nicht steigern kann - die Herstellung dieser Substitute bedeutet lediglich eine Verschwendung von Ressourcen.

Bei der zweiten Art vollständig substituierbarer Medieninhalte ist der Grenznutzen zusätzlich verfügbarer Substitute positiv. Hierzu gehören vor allem unterhaltende Medieninhalte, die lediglich in gleicher Weise gewisse Funktionen erfüllen sollen, deren Fähigkeit dazu sich aber durch die Nutzung verbraucht (siehe oben 2.2.2). Zum Beispiel kann ein Spielfilm als vollständiges Substitut die gleichen Qualitäten aufweisen wie ein anderer Spielfilm, doch ist ein Konsument durch den Konsum beider Filme besser gestellt als wenn er sich statt dessen einen von beiden zweimal ansähe. Gleiches gilt für Musik, die nach vielmaligem Anhören schlicht langweilig wird. Bei diesen Gütern ist lediglich das erste Gossensche Gesetz des abnehmenden Grenznutzens des Konsums weiterer Substitute zu beachten (vgl. Gossen 1992 (1854): 181). Picard (1989: 39) schreibt dazu:

    ,,Because of this phenomenon most cable TV viewers are content with access to fewer than two dozen channels rather than increasing their access to as many as the 120 channels that some television sets will accomodate. For the same reason, magazine readers choose only a few of the thousands of titles available nationwide."

Manche Inhalte können jedoch nicht ersetzt werden. Ihre Ausdrucksform selbst hat einen nicht substituierbaren Informations- oder Unterhaltungswert, auf den der Anbieter ein Monopol hat. Diese Eigenschaft bieten zum Beispiel Darstellungen von wichtigen Ereignissen, Personen oder Kunstgegenständen, die aufgrund urheberrechtlicher Bestimmungen nicht von anderen Anbietern nachgebildet werden dürfen.3 Aber auch Live-Übertragungen herausragender Sportereignisse oder Medieninhalte, die in irgendeiner Form Kult- oder Fanstatus erlangt haben, können oder dürfen nicht von alternativen Anbietern in der gleichen Form nachgebildet werden. >>17<<

Die Verfügbarkeit und der Preis von Substituten sind entscheidend für die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager für ein Gut. Für den Markt für Medieninhalte liefert der von Webb (1983) untersuchte US-Kabelfernsehmarkt empirische Belege für diese Beziehung. Webb stellt fest, dass die Nachfrage nach Kabelfernsehen mit der Anzahl terrestrisch empfangbarer Fernsehsignale fällt. Entsprechend erklärt Webb die negative Einkommenselastizität für das Kabelfernsehen-Basisangebot in Großstädten - ärmere Familien geben hier absolut mehr für ,,basic cable" aus als Familien mit mittlerem Einkommen - damit, dass Fernsehen ein billiges Substitut für andere urbane Unterhaltungsangebote darstellt. (Vgl. Webb 1983: 70-81)


2.2.4 Informationsprobleme des Inhaltemarktes

In Bezug auf die Möglichkeiten der Nachfrager, die relevanten Eigenschaften eines Gutes kennen zu lernen, kann man sowohl bei Medieninhalten als auch generell drei Güterarten unterscheiden. (Vgl. hierzu Ronte und Bonus 1993: 2f) Der einfachste Fall liegt bei Inspektionsgütern vor, die man ausführlich betrachten und zutreffend beurteilen kann, ohne sie gleich zu verbrauchen. Zu Inspektionsgütern gehört neben Computerprogrammen auch Musik, welche man probehören kann, bevor man sich für einen Kauf entscheidet.

Viel schwieriger ist der Fall von Vertrauensgütern wie informierenden Medieninhalten: Ihre Qualitätsmängel kann man erst dann feststellen, wenn sie ihren Informationswert einbüßen. Zum Beispiel hilft die Urteilskraft, dass die Vorhersage von trockenem Wetter für Sonntag falsch ist, wenig weiter, wenn man sie erst mit dem ersten Regen am Sonntag erhält, denn einen informierenden Charakter hat der Wetterbericht für Sonntag dann nicht mehr.

Zwischen den Inspektionsgütern und den Vertrauensgütern sind die Erfahrungsgüter einzuordnen, deren Qualitäten man beurteilen kann, wenn man das Gut benutzt. Medieninhalte, die zu den Erfahrungsgütern zählen, lassen sich von Medieninhalten mit Eigenschaften der Inspektionsgüter sinnvoll abgrenzen, weil bei ihnen eine probeweise Nutzung nicht möglich ist. Wenn man sich beispielsweise einen Spielfilm ansieht, kann man ihn hinterher zwar beurteilen, doch hat man auch das Interesse daran verloren, das Nutzungsrecht an dem Film zu erwerben - man kennt ihn ja schon. Das gleiche gilt für alle Medieninhalte, die durch Nutzung ihren Wert einbüßen. Auch die informierenden Inhalte, welche zu den Vertrauensgütern gezählt werden, sind zugleich Erfahrungsgüter, da ihr potentieller Nutzen erst beurteilt werden kann, wenn ihr Inhaltsgegenstand bekannt ist. Dann ist die Information jedoch bereits in Wissen übergegangen, und der Medieninhalt hat seinen Informationsgehalt verloren.4 >>18<<

Um die Informationsprobleme des Marktes für Medieninhalte als Erfahrungs- und Vertrauensgüter zu überwinden, müssen die Medieninhalte zumindest teilweise mit Eigenschaften von Inspektionsgütern ausgestattet werden. In der Praxis gibt es dafür zwei Möglichkeiten:

(1) Verstetigung der Nachfrager/Anbieterbeziehung: Die Anbieter ermöglichen es den Nachfragern, mit oft wiederholten Handelsbeziehungen ein Vertrauen in die Qualität der Inhalte zu entwickeln. Dieses Vertrauen ersetzt dann die Notwendigkeit der Qualitätsprüfung vor jedem Kauf. (Vgl. Steinmueller 1992: 175) Der Wetterbericht der Zeitung kann auf diese Weise von einem Vertrauensgut zu einem Inspektionsgut werden, weil der Leser gewissermaßen mit Hilfe von Stichproben die Möglichkeit hat, die dauerhafte Zuverlässigkeit der Information zu prüfen. Damit sind die Anbieter von Medieninhalten darauf angewiesen, bei ihren Kunden mit der Reputation der Qualität ihres Angebots ein Markenbewusstsein aufzubauen und zu pflegen (vgl. Priest 1994: 19; Varian 1998).

Wie wichtig der Aufbau einer Markenbindung für die Massenmedien ist, stellen ihre Werbeausgaben eindrucksvoll dar: Mit über 2,5 Milliarden DM lagen sie 1997 an zweiter Stelle knapp hinter dem Automarkt und wiesen mit 13,9 Prozent ein weit überdurchschnittliches Wachstum auf (Heffler 1998: 272). Hat ein Anbieter erst eine hohe Reputation erreicht, so lohnt es sich für ihn, dieses wertvolle Kapital für den Vertrieb von möglichst vielen Medieninhalten zu nutzen, so lange diese Strategie nicht die Qualität belastet. Die Informationsprobleme des Inhaltemarktes sind daher eine indirekte Quelle für Größenvorteile der Anbieter. (Priest 1994: 19) Für die Nachfrager haben diese ökonomischen Zwänge den großen Vorteil, dass sie nur in Ausnahmefällen eindeutig schlechte Medieninhalte am Markt erwerben, da die Vorprüfung durch die Anbieter eine Mindestqualität garantiert.

In der leichten Verstetigung der Nachfrager/Anbieterbeziehung ist auch zumindest ein Teil des Erfolgs von Fernsehserien und anderen regelmäßig wiederkehrenden Sendungen zu erklären. Ein Konsument erhält jeweils eine abgeschlossene Einheit und kann auf dieser Grundlage entscheiden, ob er auch weitere Folgen oder Ausgaben ansieht. Dies ist bei einteiligen Spielfilmen oder auch Büchern in den Printmedien nicht möglich. Bei diesen Gütern treten daher die Reputation des Senders oder des Verlags sowie die der Schauspieler, Regisseure und Autoren in den Vordergrund. (Vgl. Varian 1998)

(2) Kritiken und Rezensionen: Zusätzlich zur Verstetigung der Marktbeziehungen können die Beurteilungen Dritter herangezogen werden, um den Inspektionsgutcharakter eines Medieninhalts zu verbessern, ohne gleich seinen >>19<< Nutzen preisgeben zu müssen. Das Vertrauen der Nachfrager zu den Kritikern und Rezensenten erspart nun dem Nachfrager die unmittelbare Prüfung der Angebote. Diese Funktion können zum Beispiel Herausgeberschaften oder Vorworte bekannter Persönlichkeiten in Büchern unbekannter Autoren einnehmen. Weitaus größere Bedeutung hat aber die Bewertung durch spezialisierte Agenten. So waren 1997 in Deutschland die Fernsehprogrammzeitschriften mit 41,44 Millionen Lesern die mit weitem Abstand am intensivsten genutzten Zeitschriften, gefolgt von ,,aktuellen Zeitschriften" mit nur 29,66 Millionen Lesern (Media Perspektiven 1998: 80). Weit verbreitet sind auch Kino-, CD- und Buchkritiken, die von vielen informierenden Medien erfolgreich angeboten werden. Besondere Bedeutung bei der Handhabung wissenschaftlicher Literatur als Vertrauensgut haben die rezensierten Zeitschriften: Nur solche Artikel, die einer hochqualifizierten Kritik standhalten können, werden hier abgedruckt. (Vgl. Varian 1998)

Neben der Verstetigung der Marktbeziehungen und der Nutzung von Beurteilungen durch vertrauenswürdige Agenten besteht nur noch die Möglichkeit der teilweisen Preisgabe des Medieninhalts, um dem Nachfrager Inspektionsmöglichkeiten einzuräumen. So wird den Nachfragern oft eine zumindest oberflächliche Prüfung des Inhalts durch Programmvorschauen im Fernsehen und Herumblättern in ausgestellten Büchern erlaubt. Die Gefahr, dass dadurch die Kaufbereitschaft gefährdet wird, ist gegenüber den nachfragesteigernden Effekten vernachlässigbar. (Vgl. Varian 1998)

Auch wenn von allen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird, die Nachfrager über die Eigenschaften der angebotenen Medieninhalte zu informieren, so kann man dennoch nicht von umfassend informierten Nachfragern ausgehen. Das liegt zunächst daran, dass Information generell Schwierigkeiten bei der Appropriation bietet und daher auch die unabhängige Bewertung von Medieninhalten in unzureichendem Ausmaß angeboten wird (Priest 1994: 18). Wichtigster Grund dafür, dass Nachfrager nur begrenzt informiert sind, ist aber das Problem, dass Bewertung und Auswahl der Medieninhalte durch den Nachfrager selbst mit Kosten verbunden ist. Als Nutzenmaximierer wird er daher nur so lange sein Wissen über das Angebot verbessern, wie die Kosten dieser Aktivität geringer sind als der erwartete Wert der dadurch erzielten Verbesserung der getroffenen Auswahl. (Vgl. Bates 1988: 78; Simon 1978: 9f)

Ein Problem, welches aus der unvollständigen Informiertheit der Nachfrager hervorgeht, ist die von Akerlof (1970) beschriebene adverse Selektion: Minderwertige Güter setzen sich am Markt deshalb durch, weil sie preiswerter angeboten werden können, ihre Qualitätsmängel den Nachfragern jedoch weitgehend verborgen bleiben. In der Folge hat das Angebot eine geringere Qualität als dies bei einem optimal funktionierenden Markt zu erwarten wäre. Für Medieninhalte nennt Varian (1998) das Beispiel der Encyclopaedia Britannica, die trotz ihrer überlegenen Qualität Schwierigkei- >>20<< ten hat, sich am Markt gegenüber der - so Varian - minderwertigen, aber preisgünstigeren Microsoft Encarta durchzusetzen. Das Problem adverser Selektion tritt jedoch grundsätzlich an allen Märkten auf und ist keine Besonderheit des Marktes für Medieninhalte. In dieser Untersuchung wird es daher auch nur noch dort angesprochen, wo die besonderen Bedingungen des Marktes für Medieninhalte dafür sprechen, dass hier die Suchkosten der Nachfrager außergewöhnlich hoch sind.


2.2.5 Besonderheiten der programmgebundenen Medieninhalte

Medieninhalte, die auf Speichermedien wie Büchern, Compact Discs (CDs) oder Kassetten vorliegen, können jederzeit und beliebig lange konsumiert werden. Bei Medieninhalten jedoch, die vom nicht speichernden Medium Rundfunk übertragen werden, gibt es diese Nutzungsfreiheit nicht: Sendungen von Hörfunk- und Fernsehsendern sind an eine Startzeit gebunden, werden in einem fixierten Zeitablauf ausgestrahlt, und ihre Nutzungsmöglichkeit endet mit Ausstrahlungsende. Allenfalls Wiederholungen sind (nach dem gleichen Muster) möglich. Ein Konsument, der in der Regel einen Inhalt entweder vollständig oder gar nicht aufnehmen möchte, muss sich diesem zeitlichen Programmablauf unterwerfen.

Die Programmbindung beeinflusst die Nachfrage nach Medieninhalten auf zwei Arten: (1) Die Suchkosten der Nachfrager nehmen zu, da nicht nur der erwartete Nutzen der Inhalte verglichen werden muss, sondern auch ihre Sendezeit. Damit reicht es nicht mehr aus, einmal eine Prioritätenliste von bevorzugten Medieninhalten zu erstellen, welche man nach Belieben nutzt. Statt dessen muss man jedes Mal, wenn man Zeit und Lust zum Fernsehen oder Radiohören hat, erneut nach einem gefälligen Programm suchen. (2) Die Konkurrenz aller vorhandenen Medieninhalte wird - bedingt durch die Zahl der Sender - auf ein Minimum reduziert, da nur ein kleiner Ausschnitt des verfügbaren Sendematerials gleichzeitig ausgestrahlt wird. Auch büßen die meisten Sendungen allein deshalb an Attraktivität ein, weil sie entweder schon lange angefangen haben oder erst viel zu spät enden und nicht beliebig vom Konsumenten unterbrochen werden können.

Die Wirkungen der Programmbindung sind für die Rundfunkveranstalter von großer Bedeutung:

(1) Die Rezipienten konsumieren oft mehrere Sendungen unmittelbar hintereinander. Da sie von jeder Sendung sowohl den Anfang als auch das Ende sehen oder hören wollen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie aufeinanderfolgende Sendungen bei einem Sender wählen, weil es nur sehr wenige, zur gleichen Zeit beginnende Alternativen gibt. Dieser ,,Überleitungseffekt" (Schröder 1997: 26) bzw. ,,Lead-In Effekt" (Kruse 1989: 256) einer Sendung für anschließende Programminhalte ist im deutschen Fernsehen überaus deutlich am Beginn der abendlichen Hauptsendezeit um 20.15 Uhr zu >>21<< erkennen: Das Ende der ARD-Tagesschau als weitaus populärster Nachrichtensendung lässt keinem Sender eine Chance, zu einem früheren Starttermin Zuschauer für eine Sendung zu gewinnen. Zudem ist sehr wahrscheinlich, dass ein Großteil der ARD-Einschaltquote der auf die Zwanzig-Uhr-Tagesschau folgenden Sendung auf diesen Lead-In Effekt zurückzuführen ist.

(2) Die Strategie, unliebsamen Werbeblöcken durch Wegschalten auszuweichen, ist nur mäßig attraktiv, da es unwahrscheinlich ist, bei einem anderen Sender ein vergleichbar attraktives Programm zu finden. Zum einen wird es kaum möglich sein, eine gerade beginnende Sendung zu finden, die einen zusätzlich auch noch interessiert, und zum anderen läuft man Gefahr, den mit Spannung erwarteten weiteren Verlauf der unterbrochenen Sendung zu verpassen. Die Bereitschaft, einen Werbeblock zu erdulden, steigt also, weil der Nutzen von Alternativen aufgrund der Programmbindung als zu gering und die zu erleidende Nutzeneinbuße als zu hoch empfunden werden.

(3) Aufgrund der Programmbindung gibt es zwei getrennte Gründe, eine Sendung zu hören oder zu sehen: Zum einen möchte man Sendungen, die einen besonders interessieren, auf keinen Fall verpassen. Um sie zu sehen, richtet man sich den Tagesablauf ein, verzichtet evtl. auf attraktive Alternativtätigkeiten und schaut oder hört so lange zu, bis die Sendung endet, auch wenn man eigentlich keine Lust mehr hat oder zu müde ist. Zum anderen setzt man sich auch vor den Fernseher oder hört Radio, um der ,,Langeweile zu entkommen" und die ,,Zeit totzuschlagen" (Schauz 1997: 35). Ob zu diesen Zeiten ein besonders interessanter Inhalt gesendet wird, ist dabei unerheblich. Die Trennung der Gründe, programmgebundene Inhalte zu konsumieren, führt tatsächlich zu einer Steigerung des Rundfunkkonsums. Das zeigt die Beobachtung, dass mit dem Besitz eines Videorekorders die insgesamt vor dem Fernseher verbrachte Zeit abnimmt. Der Videorekorder ermöglicht es nämlich seinen Nutzern, die Abhängigkeit des Fernsehkonsums vom Programmablauf zu beenden und so die zwei Gründe zum Fernsehen zeitlich zu vereinigen. (Vgl. Schauz 1997: 103f) Mit einer ,,Attraktivität durch Flüchtigkeit" der Fernsehprogramminhalte, wie (Schauz 1997: 103) jedoch mutmaßt, hat dieser Effekt also wenig zu tun.


2.2.6 Nichtrivalität im Konsum

Die aus ökonomischer Sicht wohl interessanteste Eigenschaft von Medieninhalten besteht in ihrer Eigenschaft, ohne Einfluss auf die Herstellungskosten von beliebig vielen Nutzern konsumiert werden zu können: Ein Nutzer eines Medieninhalts schränkt die Nutzungsmöglichkeiten desselben Inhalts für andere potentielle Nutzer in keiner Weise ein. Medieninhalte sind vollkommen nicht rival im Konsum, da potentielle Nutzer nicht um die Konsummöglichkeiten konkurrieren müssen. Hier liegt der Grund für die oben genutzte Abgrenzung der Medieninhalte von anderen Gütern über den Begriff der first >>22<< copy costs. Die Darstellung der außerordentlich bedeutsamen Konsequenzen der Nichtrivalität im Konsum für den Medieninhaltemarkt erfolgt in Kapitel 4 dieser Untersuchung.


2.2.7 Unteilbarkeiten des Angebots

Da Medieninhalte sich nicht physisch verbrauchen und in der Regel auch nur in einer einzigen, vollständigen Einheit vorliegen, können sie nicht in einzelnen Teilen oder in verschieden großen Vielfachen eines Ganzen angeboten werden. Mit zwei Kopien eines gleichen Buches, Films oder Musikstücks kann niemand besser gestellt werden als mit einer einzigen Kopie, während ein halbes Buch, halbes Musikstück oder ein halber Film nahezu unbrauchbar ist. Zudem bestünde aufgrund der Nichtrivalität im Konsum auch überhaupt kein praktischer Nutzen in einer Beschränkung der Verfügungsrechte auf Teile eines Medieninhalts. Priest (1994: 21) weist zudem darauf hin, dass die Anbieter oft einzelne, für sich abgeschlossene Medieninhalte noch zu einer größeren Einheit zusammenschließen. Damit erreichen sie eine Einsparung der Transaktionskosten, die unabhängig vom Tauschwert beim Handel und der Übertragung von Nutzungsmöglichkeiten an Medieninhalten auftreten. Ein Beispiel hierfür ist die Bündelung lexikalischer Information in einem Universallexikon, obwohl die meisten Nutzer nur an Teilgebieten interessiert sind. Das gleiche kann bei der Bündelung verschiedenster Nachrichten in einer einzigen Zeitung oder bei der Zusammenstellung vieler Musiktitel auf einer CD beobachtet werden.

Diese Unteilbarkeit von Medieninhalten schränkt die Flexibilität des Handels ein, weil es dem Verbraucher - anders als bei den meisten anderen Gütern - nicht möglich ist, die nachgefragte Menge an den erzielten Nutzen anzupassen. Während zum Beispiel besonders hungrige Menschen viel Brot kaufen und dem Bäcker mehr für seine Dienste bezahlen als weniger hungrige Menschen, müssen alle Käufer eines Medieninhalts die gleiche ,,Menge", nämlich ein Ganzes, erwerben. (Vgl. Arrow 1971: 148; Priest 1994: 15) Nur in wenigen Ausnahmefällen ist es möglich, eine Teilbarkeit von Medieninhalten zu simulieren. So wird der Zugriff auf elektronische Datenbanken über Netzwerke in der Regel nach der Nutzungszeit und der Anzahl abgerufener Datensätze abgerechnet. (Vgl. Kapitel 2.5.1.4)


2.2.8 Externe Effekte des Inhaltekonsums

Ein positiver oder negativer Effekt, der mit einem Gut verbunden ist, sich aber nicht in den Kosten seiner Produktion oder seines Verbrauchs niederschlägt, wird als externer Effekt bezeichnet (Priest 1994: 13) Wenn externe Effekte vorliegen, erhalten die Marktteilnehmer falsche Signale, und Qualität und Menge der produzierten und verbrauchten Güter weichen vom Wohlfahrtsop- >>23<< timum ab; man spricht dann von Marktversagen. (Vgl. Fritsch, Wein und Ewers 1993: 54) Die Möglichkeiten externer Effekte der Produktion von Medieninhalten sind im Gegensatz zu denen des Inhaltekonsums sehr begrenzt. Es können allenfalls sogenannte ,,pekuniäre externe Effekte" (Fritsch, Wein und Ewers 1993: 55) der Produktion auftreten, wenn ein neuer Medieninhalt die Angebote konkurrierender Hersteller auf- oder abwertet. (Vgl. Hall 1981) Im Folgenden werden daher ausschließlich externe Effekte des Inhaltekonsums dargestellt.


2.2.8.1 Positive externe Effekte

Wenn der Konsum von Medieninhalten das Wissen eines Menschen oder sein Sozialverhalten verbessert, können positive Effekte für unbeteiligte Dritte vorliegen: Das Zusammenleben wird angenehmer, die volkswirtschaftliche Produktivität nimmt zu, und gemeinschaftliche Entscheidungen erfolgen besser informiert. (Vgl. Bates 1988; Priest 1994: 13-15) Für die Nachfrage nach informierenden Medieninhalten zur Verbesserung gemeinschaftlicher Entscheidungsfindung formulierte Downs (1957) die Theorie der rationalen Ignoranz: Der persönliche Informationsaufwand führt wohl zu einer Verbesserung der Entscheidung; je mehr Menschen aber an der Entscheidung teilnehmen, desto stärker verteilt sich der Nutzen aus dieser Verbesserung auf viele Nutznießer. Die persönlichen Anreize, Kosten des Informationskonsums aufzunehmen, stehen damit in einem um so schlechteren Verhältnis zum erzielten Gesamtnutzen, je mehr Menschen an der Entscheidung beteiligt sind.

Kritische oder unkonventionelle Medieninhalte, die wichtige Beiträge zum sozialen Fortschritt liefern können, sind in der Nachfrage möglicherweise besonders benachteiligt: Nach dem auf Festinger (1957) zurückgehenden ,,Konzept der kognitiven Dissonanz" (Maletzke 1988: 22) streben Menschen danach, ihre Einstellungen mit der Umwelt im Gleichgewicht zu halten; sie suchen ,,kognitive Konsonanz" (Maletzke 1988: 20). Wenn es ihnen nicht durch einen aktiven Einfluss gelingt, Abweichungen der Umwelt von ihren individuellen Sollvorstellungen zu vermeiden, gehen die Menschen zur Selektion informierender Medieninhalte über. Schmitz (1990: 151) erwartet in Bezug auf den Rundfunk einen dreiphasigen Verlauf dieses Selektionsprozesses:

    ,,Zunächst werden in einer präkommunikativen Phase bevorzugt solche Medienangebote ausgewählt, von denen erwartet wird, daß ihr Inhalt mit den eigenen (Soll-)Vorstellungen nicht kollidiert. Sodann werden während der Mediennutzung, der Kommunikationsphase, dissonanzauslösende Informationen umgedeutet und abgewertet, während konsonanzfördernde Informationen gezielt gesucht und in den Vordergrund gestellt werden. Nach der Mediennutzung, in der nachkommunikativen Phase, setzt sich dieser Reinterpretationsprozeß fort, dissonanzauslösende Informationen werden weiter umgedeutet und leicht verdrängt." >>24<<

Aufgrund der positiven externen Effekte des Konsums bestimmter Medieninhalte kann davon ausgegangen werden, dass das Ausmaß ihres Konsums zu niedrig ist. Durch Internalisierung der externen Effekte sollte versucht werden, die Konsumanreize so weit zu erhöhen, dass die Nachfrager den Konsum dieser Inhalte auf eine optimale Höhe ausdehnen und so das Marktversagen behoben wird. Dabei ist aber unbedingt zu beachten, dass es sich um ein Marktversagen im Konsum und nicht im Angebot handelt; lediglich die Angebotsbedingungen zu verbessern ist also wenig hilfreich. (Vgl. Entman und Wildman 1992: 13)


2.2.8.2 Negative externe Effekte

Neben den positiven externen Effekten können auch negative externe Effekte des Medieninhaltekonsums zumindest nicht ausgeschlossen werden. Zum Beispiel beeinflusst die Rezeption von Medieninhalten mit Darstellungen brutaler Handlungen möglicherweise das Verhalten des Konsumenten, so dass negative Rückwirkungen auf unbeteiligte Dritte auftreten können. (Vgl. Schröder 1997: 8f; Heinrich 1994: 100-104 und die dort angegebene Literatur)


2.2.8.3 Netzwerkexternalitäten

Netzwerkexternalitäten sind zumeist positiv und treten dort auf, wo der Wert einer Einheit eines Gutes mit der Anzahl der in Gebrauch befindlichen Einheiten desselben Gutes variiert (vgl. Economides 1996: 678). Das bekannteste Beispiel positiver Netzwerkexternalitäten ist das Telefon, dessen Gebrauchswert mit der Gesamtzahl der angeschlossenen Telefone zunimmt (Fritsch, Wein und Ewers 1993: 166f). Wenn mehrere inkompatible Alternativen zur Erfüllung desselben Zweckes mit positiven Netzwerkexternalitäten vorliegen, besteht ein Zwang zur Herausbildung eines Standards: Entweder eine Alternative setzt sich im Wettbewerb durch und entwickelt sich von selbst aufgrund des Nachfragervertrauens zu einem de facto-Standard, oder zentrale Akteure einigen sich auf einen allgemein verbindlichen Standard. Wenn sich kein Standard herausbildet, erleiden die Nachfrager einen Wohlfahrtsverlust in Form ausbleibender Netzwerkeffekte. (Vgl. Katz und Shapiro 1986; Owen und Wildman 1992: 265)

Positive Netzwerkexternalitäten können in direkte und indirekte Effekte unterschieden werden (Economides 1996: 679). Die direkten Effekte wirken sich auf den Gebrauchswert selbst aus, so dass zum Beispiel das Telefon nützlicher wird. Die indirekten Effekte wirken sich dagegen über die Produktionsbedingungen positiv für andere Nachfrager aus: Mit steigendem Absatz lohnt sich zum Beispiel die Massenfertigung von Telefonen und Schaltstellen: Die Modellvielfalt nimmt zu und die Gerätepreise fallen. (Vgl. Fritsch, Wein und Ewers 1993: 166f) >>25<<

Bei Medieninhalten treten positive direkte Netzwerkexternalitäten nur selten in Bezug auf den Hauptzweck eines Inhalts auf. Ein Computerprogramm erfüllt seine Funktionen, auch ohne dass Dritte das gleiche Programm benutzen; Ähnliches gilt auch für unterhaltende und informierende Inhalte. Statt dessen entstehen direkte Netzwerkeffekte in Form von Mehrwerten, die über den direkten Produktnutzen hinausgehen: (1) Die Nutzer eines gleichen Computerprogramms können miteinander Erfahrungen und Dateien austauschen sowie sich gegenseitig Hilfestellung bei Problemen leisten. (2) Die Konsumenten können den zugleich von anderen aufgenommen Inhalt zum Gesprächsthema und damit zur Grundlage sozialer Interaktion machen. So etwas geschieht mit Kinofilmen, Live-Shows und besonders auch Sportveranstaltungen, deren gemeinschaftliches Erleben die Grundlage von Fanclubs wird.

Die überragende Bedeutung dieser direkten Netzwerkeffekte für den Bereich der Computersoftware hat Bill Gates frühzeitig genutzt: ,,Vielleicht haben die PC-Käufer es nicht ausdrücklich gesagt, aber was sie suchten, war die Hardware, auf der die meiste Software lief, und was sie wollten, war dasselbe System, das die Leute hatten, die sie kannten und mit denen sie arbeiteten." (Gates 1995: 82) Entsprechend verkaufte Microsoft in der Anfangsphase die produzierten Programme so billig wie möglich, damit sich allein aus der Tatsache, dass diese Programme von nahezu jedem Computerbesitzer benutzt und gekannt wurden, ein einzigartiger Vorteil der Microsoft-Produkte entwickelte. (Vgl. Gates 1995) Mit dieser Strategie gelang es Microsoft auf vielen Teilmärkten, einen de facto-Standard zu setzen, der anschließend - da urheberrechtlich geschützt - mit angehobenen Preisen ausgenutzt werden konnte.

Die indirekten positiven Netzwerkeffekte, die aus den Produktionsbedingungen hervorgehen, treten bei Medieninhalten aufgrund ihrer Nichtrivalität im Konsum besonders deutlich auf. Je mehr Menschen denselben Medieninhalt nachfragen, desto höher ist auch die Summe ihrer Beiträge zu dessen Herstellung. Damit sinkt bei einer größeren Nachfragerzahl der von jedem Einzelnen zu zahlende Preis bei gleichbleibender Qualität, oder die Qualität steigt bei gleichbleibendem Preis. Owen (1975: 26) stellt deshalb eine generelle Benachteiligung von Konsumenten mit ungewöhnlichen Bedürfnissen fest. Diese Benachteiligung ist jedoch nicht nur auf die Preise und Qualität beschränkt, denn die Zahl der Nutzer eines unterlegenen Produkts mit Netzwerkeffekten kann so klein sein, dass der Markt überhaupt nicht mehr versorgt wird (vgl. Owen und Wildman 1992: 266f).

Für Information als Gegenstand von Medieninhalten lassen sich auch negative Netzwerkexternalitäten des Inhaltekonsums nachweisen, da der Wert von Information für einen einzelnen Menschen auch von der Exklusivität des Informationsbesitzes abhängen kann (vgl. Hirshleifer 1973). Zum Beispiel kann die exklusive Information, dass eine weltweite Hungersnot bevorsteht, >>26<< dazu genutzt werden, an den Agrarmärkten in Nahrungsmitteloptionen zu investieren - ein geradezu unermesslicher Gewinn kann garantiert werden. Wenn alle Menschen diese Information hätten, wäre der Gesamtnutzen aus der Information wohl höher, doch der ansonsten garantierte Gewinn des exklusiv Informierten wäre verloren. (Steinmueller 1992: 175) stellt fest, dass gerade wegen der hohen Transaktionskosten, die bei dem Versuch auftreten, die Wohlfahrtsgewinne einer breiten Informationsstreuung abzuschöpfen, die Anreize zu einer exklusiven Nutzung von Information hoch sein können.


2.2.8.4 Multiple Präferenzen des Inhaltekonsumenten

Das Verhalten mancher Nachfrager beim Konsum bestimmter Inhalte weckt oft den Eindruck einer Sucht: Die betroffenen Personen wissen, dass sie eigentlich zu lange und zu oft fernsehen oder am Computer spielen, doch können sie sich scheinbar nicht anders verhalten. Offensichtlich unterliegen die Menschen in diesen Fällen mehreren, teilweise widersprüchlichen Präferenzsystemen. Tietzel und Müller (1998: 116f) unterscheiden anhand eines einfachen Modells von Thaler und Shefrin (1981) die ,,unmittelbar handlungsleitenden Präferenzen erster Ordnung (doer)" von den ,,übergeordnete[n] Präferenzen (planner) [. . .], die das langfristige `aufgeklärte Eigeninteresse' des Handelnden reflektieren". Für den doer ist es in den konkreten Situationen zu schwierig, nach den Präferenzen des planners zu handeln, so dass er beim Angebot bestimmter Medieninhalte der Verführung zum exzessiven Konsum nicht widerstehen kann.5

Die bei Existenz multipler Präferenzen auftretenden Effekte lassen sich gewissermaßen als ,,intrapersonelle externe Kosten" (Koboldt 1995: 9) bezeichnen und stellen damit einen Sonderfall der externen Effekte dar. Um das Entscheidungsversagen zu beheben, bieten sich freiwillige Selbstbindungen an, mit denen der Konsum von der Konsumentscheidung zeitlich entkoppelt wird. Damit würden dann den Konsumentscheidungen die langfristigen Präferenzen zugrundegelegt werden. Wenn dennoch einmal aufgrund der kurzfristigen Präferenzen eine Konsumentscheidung getroffen wird, so kann sie anschließend noch auf der Grundlage der langfristigen Präferenzen rückgängig gemacht werden, bevor der Konsum erfolgt. Daneben sind noch viele weitere Möglichkeiten denkbar, mit denen sich das Individuum selbst an die Befolgung der langfristigen Interessen binden kann. Eine dem Problem der Internalisierung ,,normaler" externer Effekte vergleichbare Schwierigkeit gibt es dabei jedoch nicht, da kein Eingriff in die individuellen Präferenzen Dritter erfolgt. (Vgl. Tietzel und Müller 1998: 116-123) >>27<<


2.2.9 Aufmerksamkeit und Zeit als knappes Komplementärgut

Um aus Medieninhalten einen Nutzen zu schöpfen, muss jeder Konsument einen Teil seiner Zeit und Aufmerksamkeit investieren. Tut er dies nicht, so ist ein Medieninhalt ebenso nutzlos wie der linke ohne den rechten Schuh: Die Zeit und die Aufmerksamkeit sind zu Medieninhalten das Komplementärgut des Konsums. Die quantitative Bedeutung dieses Gutes kann schnell gezeigt werden. So betrug die tägliche Nutzungszeit 1995 in Deutschland pro Person 51 Minuten für Bücherlesen, 30 Minuten für Zeitungslesen, 186 Minuten für Fernsehen und 169 Minuten für Radiohören - insgesamt sieben Stunden und 16 Minuten (Bertelsmann AG 1997).6 Priest (1994: 7) stellt daher fest, dass im Verhältnis zu vielen anderen Gütern Medieninhalte (,,information") viel Zeit des Konsumenten je Ausgabedollar in Anspruch nehmen.

Die Mediennutzungszeit scheint nicht nur von überragender quantitativer Bedeutung, sondern auch der zentrale limitierende Faktor für die Nutzung von Medieninhalten überhaupt zu sein. Medieninhalte sind in unermesslicher Menge vorhanden und werden durch den Konsum nicht materiell verbraucht. Es ist aufgrund der Knappheit der Zeit und Aufmerksamkeit unmöglich, alle Zeitungen, Zeitschriften und Bücher zu lesen, auch wenn man nur die persönlich interessanten Inhalte auswählt; gleichermaßen unmöglich ist die Anwendung aller sinnvollen Computerprogramme und Spiele. Und selbst ausdauernde Kino- und Fernsehliebhaber dürften Schwierigkeiten bekommen, wenn sie das Archiv des Münchener Filmhändlers Leo Kirch sichten müssten: Sie bräuchten dafür neun Jahre zu 24 Stunden täglich (Fleischhauer 1998: 96). (Vgl. Lanham 1994; Varian 1995)

Die relative Knappheit der menschlichen Aufmerksamkeit ist von entscheidender Bedeutung für die kommerzielle Verwertbarkeit von Medieninhalten, da sie die Effekte verstärkt, die aus der gegenseitigen Substituierbarkeit konkurrierender Medieninhalte hervorgehen (vgl. Kapitel 2.2.3). Wäre die Aufmerksamkeit unbegrenzt, so wäre die Zahlungsbereitschaft gemäß dem ersten Gossenschen Gesetz lediglich durch den abnehmenden Grad der Bedürfnisbefriedigung begrenzt (vgl. Gossen 1992 (1854): 181). Bei begrenzter Aufmerksamkeit sinkt die Zahlungsbereitschaft jedoch zusätzlich, da mit dem Konsum eines Medieninhalts die Zeit für die Nutzung anderer Angebote verloren geht. Diese Verluste an Nutzungsmöglichkeiten stellen für den Konsumenten Opportunitätskosten dar, die den Grenznutzen eines spezifischen Medieninhalts und damit die Zahlungsbereitschaft des Konsumenten zusätzlich senken. >>28<<

    3 Bill Gates, Mehrheitsaktionär von Microsoft, scheint die besonderen Eigenschaften nicht substituierbarer Medieninhalte früher als andere erkannt zu haben. So berichtete ,,Der Spiegel" über die 1989 von Gates gegründete Firma Corbis: ,,[Sie] soll, so Corbis-Chef Doug Rowan, `die gesamten Errungenschaften der Menschheit einfangen' und in einer Kunst-Datenbank speichern. Die Corbis-Truppe versucht deshalb, die Reproduktionsrechte an allen Gemälden in den Museen der ganzen Welt zusammenzukaufen. Nicht nur Schöngeister werden bedient. Corbis kaufte auch die größte private Fotosammlung der Welt, das Bettmann-Archiv. Unter den etwa 15 Millionen Aufnahmen sind so berühmte Fotos wie Marilyn Monroe auf dem Lüftungsschacht, Einstein mit herausgestreckter Zunge oder das explodierende Luftschiff `Hindenburg'. [. . .] Schon jetzt, schätzt das Magazin `Interactive Age', kontrolliert der Software-Zar drei Viertel des Welthandels mit digitalen Bildrechten." (DER SPIEGEL 1998: 234f)

    4 Das Phänomen, dass ein Anbieter von Medieninhalten mit Eigenschaften von Erfahrungsgütern ein Interesse daran hat, die für den Nutzer relevanten Eigenschaften seines Angebots zu verbergen, wurde vermutlich zuerst von Arrow (1971) formuliert und wird daher als Arrows Informationsparadoxon bezeichnet: ,,[I]ts value for the purchaser is not known until he has the information, but then he has in effect acquired it without cost." (Arrow 1971: 148)

    5 Auch das bereits bei den positiven externen Effekten erwähnte Konsonanzstreben, welches zum suboptimalen Konsum dissonanter Inhalte führt, widerspricht möglicherweise zugleich anderen, langfristigeren Interessen des Individuums.

    6 Einer Studie des Südwestfunks zufolge ist der Zeitaufwand mit sechseinhalb Stunden (1998) geringer, er steige aber bis zum Jahr 2015 um 40 Minuten auf sieben Stunden und zehn Minuten an (QuickLinks: 11. November 1998).

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