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Ökonomie der Medieninhalte.
Allokative Effizienz und Soziale Chancengleichheit in den Neuen Medien
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2.3 Exkurs: Urheberschutz als Bedingung privater Inhaltebereitstellung

Damit die Hersteller von Medieninhalten an einem Markt zur Deckung ihrer Kosten Erlöse erzielen können, müssen sie die Nachfrager zur Zahlung eines Preises zwingen können. Das natürliche Mittel dazu ist die Drohung, das gewünschte Gut dem potentiellen Nutzer vorzuenthalten, wenn dieser den Preis nicht zu zahlen bereit ist. Aufgrund der Nichtrivalität im Konsum von Medieninhalten (vgl. Kapitel 2.2.6) ist diese Drohung jedoch zunächst wirkungslos, da der Urheber, sobald er eine Kopie verkauft, nicht mehr der einzige Anbieter von Nutzungsmöglichkeiten ist: Von jeder Kopie können weitere Kopien angefertigt werden, ohne den Urheber an den Erlösen zu beteiligen. Eine solche Situation zu verhindern ist die Aufgabe des Urheberschutzes. Durch ihn werden die Eigentumsansprüche des Urhebers auf das exklusive Recht ausgedehnt, Nutzungsrechte auszusprechen; die Gefahr einer Konkurrenz unberechtigter ,,Anbieter" soll so ausgeschlossen werden. Dieser Abschnitt der Arbeit zeigt neben den Grundsätzen des Urheberschutzes auch seine Probleme und wohlfahrtsökonomischen Kosten auf.


2.3.1 Geschichte des Urheberschutzes

Als wohl erstes Urheberrecht moderner Prägung gilt das Statute of Anne von 1709, welches in England erstmals dem Autor und nicht dem Drucker das Eigentum am Werk zusprach. Vor dem Statute of Anne und nach der Erfindung des Buchdrucks wurden in England und im übrigen Europa den Druckern Sonderrechte zugesprochen, womit der Buchhandel politisch kontrolliert und die Piraterie bekämpft werden sollte. (Vgl. Davies 1994: 7) In England waren diese Sonderrechte Gegenstand eines Paktes zwischen den Kirchen und dem Staat zur Zensur des Gedankengutes, bis die Kontrolle des Druckhandwerks auf die Gilden von London überging. Nachdem diese am Ende des 17. Jahrhunderts zusammen mit der Monarchie an Einfluss und Bedeutung verloren hatten, wurde überall und unkontrolliert gedruckt, bis es 1709 zur Einsetzung des Statute of Anne kam. (Vgl. Barrow 1997: 71) Damit gab es nicht nur ein echtes Gesetz zum Schutz der Urheberinteressen, sondern es wurden auch erstmals die Interessen der Werknutzer berücksichtigt. Bei zu hoch angesetzten Preisen konnten sich diese auf der Grundlage des Statuts bei staatlichen und kirchlichen Stellen beschweren. (Vgl. Davies 1994: 9)

Das heute in Deutschland gültige Urheberrechtsgesetz (UrhG) geht auf die umfassende Urheberrechtsreform vom 9. September 1965 zurück.7 Mit ihr >>29<< wurden erstmals in Deutschland die Urheberrechte und die verwandten Schutzrechte (der ausübenden Künstler und Medienhersteller) deutlich unterschieden sowie der Urheberschutz von 50 auf 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers ausgedehnt. (Vgl. Davies 1994: 118) Urheber können seither nur natürliche Personen sein, während zuvor auch Filmproduzenten Urheberschutz genossen. Sie verfügen heute nur noch über verwandte Schutzrechte. (Vgl. Davies 1994: 119)

1985 wurde mit der ersten Ergänzung der Schutz von Computerprogrammen als literarische Werke in das UrhG aufgenommen sowie eine allgemeine Vergütungspflicht auch für solche öffentliche Aufführungen vorgesehen, die bisher wegen ihres nicht kommerziellen Charakters von Zahlungen an die Urheber befreit waren. Der Bundestag verschärfte zugleich die Regelungen gegen Piraterie, welche als wachsendes Problem wahrgenommen wurde. Das Gesetz sieht nun höhere Strafen und die grundsätzliche Verfolgung der Piraterie durch die Staatsanwaltschaft vor, auch ohne dass eine private Anzeige vorliegt oder der Staat ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung erkennt. (Vgl. Davies 1994: 129) Mit der Änderung des UrhG zum 1. Juli 1990 wurden die Strafen für Piraterie weiter verschärft und die Strafverfolgungsmöglichkeiten der Behörden verbessert. Zugleich wurden die Möglichkeiten der Verwertungsgesellschaften zur Erhebung von Tantiemen (vgl. Kapitel 2.5.3) ausgeweitet. Mit dem Vertrag über die Deutsche Einheit schließlich wurde zum 3. Oktober 1990 das Recht der alten Bundesrepublik auf die neuen Bundesländer ausgedehnt.

Die zweite Ergänzung des UrhG arbeitete am 9. Juni 1993 die EU-Computerprogrammrichtlinie vom 14. Mai 1991 ein, eine dritte Ergänzung erfolgte mit der Umsetzung der EU-Datenbankrichtlinie durch das zum 1. Januar 1998 in Kraft getretene Informations- und Kommunikationsdienstegesetz. Eine weitere Änderung des deutschen UrhG ist mit der EU-Urheberrechtsrichtlinie zu erwarten, welche vermutlich im Laufe des Jahres 1999 vom Rat der Europäischen Union verabschiedet wird (vgl. Europäische Kommission 1997c). Kapitel 3.2 wird hierauf im Rahmen der rechtlichen Auswirkungen der Neuen Medien ausführlich eingehen.


2.3.2 Grundsätze des Urheberschutzes

Die ausdrücklichen Ziele des Statute of Anne von 1709 als erstem echten Urheberrechtsgesetz ,,were to be for the encouragement of learning, for preventing the practice of piracy for the future, and for the encouragement of learned men to compose and write useful books." (Davies 1994: 9) Damit lagen dem Statut bereits jene Prinzipien zugrunde, welche auch heute die >>30<< Rechtfertigung für staatlich garantierten Urheberschutz sind. Davies (1994) bezeichnet diese Prinzipien im einzelnen als (1) natürliches Persönlichkeitsrecht des Autors, die volle Verfügung über seine Arbeit zu haben, (2) natürliches Recht auf Entlohnung für eine Arbeit in Höhe des Nutzens, den andere dadurch haben, (3) gesellschaftlich erwünschter Anreiz kreativer Tätigkeit und (4) Berücksichtigung sozialer Anforderungen der weitestmöglichen Verbreitung eines Werkes, um den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern. (Davies 1994: 10-13).

Davies' (1994) Prinzipien (3) und (4) des Statute of Anne verfolgen das Interesse, den gesamtgesellschaftlichen Nutzen aus der kreativen Arbeit zu maximieren. Gleichlautend nutzenorientiert argumentieren Besen und Raskind (1991: 5): ,,The objective of intellectual property protection is to create incentives that maximize the difference between the value of the intellectual property that is created and used and the social cost of its creation, including the cost of administering the system." Besen und Raskind weisen aber zugleich darauf hin, dass die Notwendigkeit weitreichender Eigentumsrechte für Urheber von Werken um so geringer ist, je weniger ,,innovation depends on the resources invested and the potential economic rewards." (Besen und Raskind 1991: 6) Ebenfalls anreizorientiert argumentiert Priest (1994), indem er den Urheberschutz (copyright) als Schutzprinzip der materiellen Entlohnung für ein kreatives Werk abgrenzt gegenüber den Plagiarismusnormen als Schutzprinzip der immateriellen Entlohnung: ,,Copyright actually reduces non-pecuniary rewards by restricting circulation." (Priest 1994: 39)

Die beiden ersten von Davies (1994) genannten Gründe unterliegen dagegen keiner nutzenorientierten (utilitaristischen), sondern einer naturrechtlichen, normativen Argumentation. Diese gesteht dem Autor den Ertrag und die Kontrolle der Ergebnisse seiner Arbeit zu (vgl. Breyer 1970: 284-291). Die Natürlichkeit dieses Anspruches zeigt sich auch darin, dass die Autoren die volle Kontrolle über ihre Werke haben, so lange sie sie nicht veröffentlichen (Barrow 1997: 71). Es wäre den Autoren nur schwer verständlich zu machen, dass sie ihre natürlichen Rechte am Werk erst aufgeben müssen, damit andere an ihrem Nutzen teilhaben können.

Auffällig ist, dass das angloamerikanische copyright als Zweck die Förderung von Wissenschaft und Kunst und damit den gesellschaftlichen Nutzen aus kreativer Arbeit verfolgen, während die kontinentaleuropäischen Urheberrechtswerke eher einer naturrechtlichen Argumentation folgen. Werden Einschränkungen (,,Schrankenbestimmungen", vgl. Kapitel 2.3.4) des Urheberschutzes im öffentlichen Interesse vorgenommen, so stehen diese hier im Gegensatz zum eigentlichen Zweck des Gesetzeswerkes. In den angloamerikanischen Werken lassen sich Schrankenbestimmungen hingegen einfügen, ohne dem Gesetzeszweck zu widersprechen. Allerdings widmet auch der Deutsche Gesetzgeber der Bedeutung des Urheberschutzes für die wirtschaftliche Entwicklung und gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt eine zunehmende >>31<< Aufmerksamkeit. Für Davies (1994: 133) ist die ,,deutsche Erfahrung" ein Indiz, dass Urheberschutz zunehmend als Kreativitätsanreiz und weniger als Naturrecht verstanden wird.

Die Kritik am Urheberschutz beruft sich nicht nur auf die sozialökonomischen Kosten des Nutzerausschlusses, die in Kapitel 2.3.3 behandelt werden, sondern sie wendet sich zum Teil grundsätzlich gegen die Anwendbarkeit eines Naturrechts des Urhebers auf sein Werk. Das Naturrechtsprinzip wird in der Regel mit dem Lockeschen Prinzip verteidigt, dass ein Mensch sich selbst und damit auch die Früchte seiner Arbeit besitzt. Nozick (1974) stellt allerdings die Frage, ob sich die Ansprüche auf geistiges Eigentum tatsächlich nur auf die Früchte der eigenen Arbeit beschränken. Wird einem geistigen Eigentümer nicht auch Eigentum an der Leistung einer Vielzahl anderer zugesprochen, die überhaupt erst die Grundlage und die Möglichkeit der schöpferischen Arbeit geschaffen haben? ,,But why isn't mixing what I own with what I don't own a way of losing what I own rather than a way of gaining what I don't? If I own a can of tomato juice and spill it in the sea so that its molecules [. . .] mingle evenly throughout the sea, do I thereby come to own the sea, or have I foolishly dissipated my tomato juice?" (Nozick 1974: 174f) Nozick folgend argumentiert auch Hettinger (1989): ,,Given this vital dependence of a person's thoughts on the ideas of those who came before her, intellectual products are fundamentally social products. Thus even if one assumes that the value of these products is entirely the result of human labor, this value is not entirely attributable to any particular laborer (or small group of laborers)." (Hettinger 1989: 38)8

Die Argumente von Nozick und Hettinger sind allerdings nur so weit von entscheidender Bedeutung, als man die utilitaristischen Prinzipien des Urheberschutzes ausklammert und sich solchen Werken zuwendet, bei welchen der persönliche Einsatz vergleichsweise gering ist. Nimmt man ein solches Werk, wie zum Beispiel ein Musikstück C, das wesentlich auf den Erfahrungen mit den älteren Werken A und B anderer Urheber aufbaut, so gilt jedoch immer noch, dass die Erträge aus C zeitlich begrenzt sind. Immer ist damit zu rechnen, dass ein anderer Urheber ein neues Werk D (auf A, B und C aufbauend) schöpft und die Verwertungsmöglichkeiten von Werk C ebenso >>32<< einschränkt wie dies Werk C mit den Werken A und B tat. Der Ertrag der Arbeit einer Vielzahl aufeinander aufbauender Urheber verteilt sich also auf diese Art gleichmäßig über die Zeit, wobei der Ertragsanteil des Urhebers eines bestimmten Werkes von der Entwicklung von Nachfolgewerken abhängt. Man kann daher den Urhebern auch einen quasi berufsbedingten Konsens unterstellen, dass sie für die intellektuelle Inanspruchnahme früherer Schöpfungen bezahlen, indem sie ihre Werke wiederum nachfolgenden Urhebern als Grundlage fremden Schaffens und fremder Eigentumsansprüche anbieten.


2.3.3 Sozialökonomische Kosten des Urheberschutzes

Da die Urheber den Nachfragern nicht ansehen können, welchen Preis diese maximal zu zahlen bereit sind, wählen sie in der Regel einen einheitlichen, erlösmaximalen Preis P* für Kopien ihres Werkes. Viele Nachfrager, deren Zahlungsbereitschaft unter diesem Preis liegt, werden damit jedoch von der Nutzung ausgeschlossen, obwohl ihr Nutzen weit über den Produktionskosten einer weiteren Kopie liegt - es tritt ein Wohlfahrtsverlust in Form von Unternutzung auf. In Abbildung 2-1 ist diese Situation dargestellt, wobei alle Nachfrager rechts des marginalen Nachfragers Q* ausgeschlossen werden. Der Wohlfahrtsverlust besteht aus der Summe der Zahlungsbereitschaften der über den Preis ausgeschlossenen Nutzer und entspricht damit dem Wohlfahrtsverlust eines monopolistischen Marktes. Es ist verlockend, den Urheberschutz für diesen Wohlfahrtsverlust verantwortlich zu machen, da ohne ihn auch niemand von der Nutzung ausgeschlossen werden könnte. Tatsächlich scheint der Grund für die Kritik mancher Autoren am Urheberschutz zu sein, dass dieser (mutmaßlich) ungerechtfertigte Monopole schaffe (vgl. Bettig 1997: 104 sowie die dort angegebene Literatur). >>33<<

Abbildung 2-1:
Wohlfahrtsverlust durch Unternutzung

Diese Wohlfahrtseinbußen durch den Nutzerausschluss treten nicht nur bei der Nutzung von Inhalten auf, sondern auch bei der Produktion neuer, teilweise abgeleiteter Werke: Der Urheberschutz behindert die Schaffung von solchen Werken, weil er die Einbindung von Werken oder Werkteilen anderer Schöpfer erschwert. Dieser schöpfungshemmende Effekt hebt so die materielle Stimulierung des Urheberschutzes zur Schaffung neuer Werke teilweise wieder auf. (Vgl. Besen und Raskind 1991; Bettig 1997; Hettinger 1989)


2.3.4 Schrankenbestimmungen des Urheberschutzes zugunsten der Allgemeinheit

Der Wohlfahrtsverlust durch eine Verstärkung des Urheberschutzes ist leider oft höher als der gesellschaftliche Nutzen aus der dadurch erzielten Optimierung der Markteffizienz. Dafür sind zwei Phänomene verantwortlich. (1) Dem Anbieter von Inhalten ist es unmöglich, seine Preise an die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager individuell anzupassen (siehe Kapitel 4). Nachfrager mit einer geringen Zahlungsbereitschaft werden daher systematisch ausgeschlossen. (2) Die Kosten der Übertragung und Kontrolle von Nutzungsrechten sind relativ unabhängig von dessen wirtschaftlichem Wert. Daher unterbleiben viele Nutzungsmöglichkeiten, weil ihr potentieller Nutzen sogar geringer ist als diese Transaktionskosten. >>34<<

Das Erreichen des Ziels, den gesellschaftlichen Nutzen aus dem Schutz der Urheberinteressen zu maximieren, setzt daher voraus, dass diese zwei Effekte mit berücksichtigt werden. Dabei ist es grundsätzlich denkbar, die soziale Wohlfahrt zu erhöhen, indem man die Eigentumsrechte der Urheber für einzelne Nutzungstatbestände einschränkt oder aufhebt. Problematisch ist jedoch, dass generelle Regelungen von Eigentumsrechten und deren Einschränkungen nicht auf die unterschiedlichen Nutzungseigenschaften unterschiedlicher Inhalte eingehen können. Eine allgemeine urheberrechtliche Bestimmung, die für einen bestimmtes Werk wohlfahrtsoptimal wäre, ist dies für ein anderes, äußerlich ähnliches Werk möglicherweise nicht. Schwerwiegender noch ist das Problem, dass Einschränkungen des Urheberschutzes dem Naturrecht des Werkschöpfers auf volle Bestimmungsgewalt über sein Werk widersprechen.

Die Berner Übereinkunft über den Schutz von Urheberrechten, der mittlerweile nahezu alle Industrieländer beigetreten sind, gestattet den Verbandsländern in Artikel 9 Absatz 2, ,,die Vervielfältigung in gewissen Sonderfällen unter der Voraussetzung zu gestatten, daß eine solche Vervielfältigung weder die normale Auswertung des Werkes beeinträchtigt noch die berechtigten Interessen des Urhebers unzumutbar verletzt." Man spricht hier auch vom ,,Drei-Stufen-Test", den die im Interesse der Allgemeinheit von den Vertragsstaaten verfügten Schrankenbestimmungen des Urheberrechts erfüllen müssen.

Der deutsche Gesetzgeber sieht Schrankenbestimmungen für die Begünstigung verschiedener Nutzungen vor. Dabei ist die Nutzung von Werken teils unentgeltlich, teils ohne Zustimmung aber mit Vergütung (Zwangslizenzen) zulässig. Grundsätzlich kann die Verwendung jedoch nur in unveränderter Form (§ 62 UrhG, Ausnahmen siehe dort) und unter gleichzeitiger Quellenangabe (§ 63 UrhG) erfolgen. Beschränkungen des Urheberschutzes zugunsten der Informationsfreiheit erfolgen bei amtlichen Werken (§ 5 UrhG), öffentlichen Reden (§ 48 UrhG, Ausnahmen siehe dort), Zeitungsartikeln und Rundfunkkommentaren zu Tagesfragen ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Rechte (§ 49 Absatz 1 UrhG), aktueller Bild- und Tonberichterstattung (§ 50 UrhG), unwesentlichem (versehentlichen) Beiwerk einer Publikation (§ 57 UrhG), sowie Wiedergaben von Werken an öffentlichen Plätzen (§ 59 UrhG). (Vgl. Branahl 1996)

Eine Beschränkung des Urheberschutzes zugunsten ,,der Informationsfreiheit sowie der Fortentwicklung von Wissenschaft und Kunst" sieht der deutsche Gesetzgeber mit dem Recht zur freien Benutzung eines fremden Werkes (§ 24 UrhG) sowie der Zitierfreiheit (§ 51 UrhG) vor. Die §§ 47 und 52 UrhG sehen Einschränkungen des Urheberschutzes in solchen Fällen vor, in denen für den Unterrichtsgebrauch Vervielfältigungsstücke angefertigt oder für kirchliche oder wohlfahrtspflegerische Zwecke geschützte Werke öffentlich wiedergegeben werden. In der Regel entfällt für schulische oder wohl- >>35<< fahrtspflegerische Zwecke auch die Vergütungspflicht. (Vgl. Branahl 1996: 179-183)

Für die nach § 53 UrhG zulässige private Vervielfältigung für den persönlichen Gebrauch dient vor allem dem Schutz der Privatsphäre. Der Gesetzgeber vermeidet damit, dass die ohnehin schwer zu kontrollierende private Mediennutzung einer externen Kontrolle unterliegt. (Vgl. LAB 1995) Da es sich hier nur um eine Zwangslizenz handelt, ,,hat der Urheber des Werkes gegen den Hersteller 1. von Geräten und 2. von Bild- oder Tonträgern, die erkennbar zur Vornahme solcher Vervielfältigungen bestimmt sind, Anspruch auf die Zahlung einer angemessenen Vergütung" (§ 54 Absatz 1 UrhG). Gleiches gilt gegen Hersteller von Fotokopiergeräten (§ 54a Absatz 2 UrhG). Umfang und Bedeutung dieser Vergütungen wird in Kapitel 2.5.3 dargestellt.

Eine besondere Art der Einschränkung des Urheberschutzes ist in einer nachsichtigen oder nachlässigen Verfolgung von unerlaubten Urheberrechtsverstößen zu sehen. Die dem Schöpfer mit dem Urheberschutz zugesprochenen Eigentumsrechte sind immer nur so wertvoll, wie die Mittel zu ihrer Durchsetzung wirksam sind. Auf sich allein gestellt können die Urheber jedoch in vielen Fällen ihre Rechte nicht durchsetzen. Hier ist der Staat gefordert, die Urheberrechte zu schützen. Zuweilen kommt es aber vor, dass er dies bewusst unterlässt oder seine Bemühungen zumindest einschränkt (vgl. Wildman und Siwek 1988). Die Motive können dabei durchaus ähnlich denen der ausdrücklichen Einschränkungen des Urheberschutzes sein. Vor allem für Staaten, die selbst keine bedeutende Medienbranche aufweisen, kann die Tolerierung von Piraterie attraktiv sein (vgl. Varian 1998): Einerseits werden formal die internationalen Abkommen zum Urheberschutz erfüllt, andererseits kann die eigene Wirtschaft aber von den erleichterten Nutzungsmöglichkeiten profitieren.

Tendenziell wirkt sich die eingeschränkte Piraterieverfolgung ebenso wie die ausdrücklichen Schrankenbestimmungen positiv auf die Ausübung von Nutzungen aus, die ansonsten aufgrund zu hoher Transferkosten oder geringer Kaufkraft der Nutzergruppen unterblieben. Denn die Gefahren der Strafverfolgung sind jeweils dann am kleinsten, wenn der Nutzungswert relativ zum Verfolgungsaufwand bedeutungslos ist oder wenn das Strafrisiko relativ gering ist. Vom Strafrisiko wiederum kann erwartet werden, dass es mit der Kaufkraft wächst. Nachfrager mit hoher Kaufkraft werden es auch bei weniger strenger Verfolgung von Urheberrechtsverstößen unattraktiv finden, Piraterie zu betreiben. Nachfrager, die wenig zu verlieren haben, können hingegen deutlich von Piraterie profitieren. In die gleiche Richtung wirken die Interessen der Urheber: An einer intensiven Strafverfolgung von Urheberrechtsverstößen kann ihnen nur dann gelegen sein, wenn dadurch nicht nur Nutzer ausgeschlossen, sondern auch tatsächliche Umsätze auf ihre Werke gelenkt werden. Kaufkraftschwache Konsumenten werden jedoch auch ohne Piraterie >>36<< kein Geld für die Inhalte ausgeben können. Begrenzte Piraterietoleranz wird daher, wenn sie nicht bewusst zur Schädigung der Urheber betrieben wird, eher kaufkraftschwache Nachfrager begünstigen, während Marktsegmente mit hoher Kaufkraft weiterhin zur legalen Werknutzung genötigt werden.


2.3.5 Auswirkungen von Schrankenbestimmungen und Piraterie auf die Wohlfahrt

Mit den Studien von Novos und Waldman (1984), Johnson (1985), sowie Besen und Kirby (1989) liegen drei Versuche vor, mit Hilfe ökonomischer Modelle die Auswirkungen von Piraterie und Schrankenbestimmungen auf die soziale Wohlfahrt zu beurteilen. In jedem Modell gibt es für ein Werk nur einen Preis; Preisdifferenzierung ist nicht vorgesehen. Leider weichen die Modellannahmen so weit von den bisher gemachten Aussagen dieser Arbeit ab, dass ihre Ergebnisse nur zum Teil übernommen werden können. Daher soll über die folgende knappe Darstellung und Kritik der Modelle hinaus nicht weiter auf die Modelle eingegangen werden.


2.3.5.1 Das Novos-Waldman-Modell

Novos und Waldman (1984) gehen in ihrem Modell davon aus, dass alle Konsumenten in gleicher Weise das Gut schätzen, aber unterschiedlich hohe Kosten der illegalen Beschaffung haben. Diese unveränderlichen (fixen) Zusatzkosten des ,,Sekundärmarktes" kommen zu den Vervielfältigungskosten hinzu, die auch der Urheber bei der Herstellung von Originalen hat. Der Wohlfahrtsverlust des Urheberschutzes aufgrund von Unternutzung der Originale besteht dann nicht nur in dem Ausschluss von Konsumenten, sondern auch in der Summe dieser Zusatzkosten im Sekundärmarkt. Diese ist um so höher, je mehr Nachfrager aufgrund des Preises der Originale auf den Sekundärmarkt ausweichen. Wird der Urheberschutz verschärft, so wird ein Teil der Nutzer zurück in den Markt für Originale gedrängt und die Wohlfahrtsverluste aus den Zusatzkosten der Kopienerstellung nehmen ab. Dieser Effekt kann stärker sein als der zunehmende Wohlfahrtsverlust aufgrund des Nutzerausschlusses.9 Unter Umständen kann also durch verstärkten Urheberschutz eine Senkung des Wohlfahrtsverlustes aufgrund von Unternutzung erzielt werden, was bisherigen Annahmen widerspricht.

Die Annahmen, die zu der relativ geringen Bewertung des Wohlfahrtsverlustes aufgrund des Nutzerausschlusses gegenüber dem der Zusatzkosten der Kopienerstellung führen, erscheinen jedoch unzutreffend. Für die meisten der heute vorliegenden Inhalte kann man im Gegensatz zu Novos und >>37<< Waldman (1984) annehmen, dass die unabhängig vom Urheberschutzniveau auftretenden (fixen) Zusatzkosten der Kopienerstellung für jeden Nachfrager etwa gleich hoch - nämlich sehr niedrig - sind. Statt dessen unterscheiden sich die Nutzer aber in ihrer Zahlungsbereitschaft für das Gut, da sie (1) eine unterschiedliche Kaufkraft und (2) ein unterschiedliches Nutzungsinteresse haben.10 Der Urheberschutz hingegen wirkt sich nur in Abhängigkeit von der Kaufkraft des einzelnen Nachfragers auf sein Verhalten aus: Je höher die Kaufkraft des Nachfragers ist, desto stärker führt eine Urheberschutzverschärfung zu einem Ansteigen seiner variablen, immateriellen Zusatzkosten des Kopierens in Form des individuell empfundenen Strafverfolgungsdrucks.11

Auch unter entsprechend korrigierten Annahmen senkt eine Verschärfung des Urheberschutzes zwar die Summe der fixen Zusatzkosten der Kopienerstellung, diese sind aber ohnehin vernachlässigbar. Statt dessen erhöht sich der Ausschluss von Nutzern, die nur eine geringe Kaufkraft oder geringwertige Nutzungsinteressen haben, da ihnen das Ausweichen auf den Sekundärmarkt zu teuer gemacht wird. Nur bei einer hohen Kaufkraft und starkem Nutzungsinteresse wechseln diese Nachfrager aus dem Sekundärmarkt in den Markt für Originale.

Unterschiedliche Kaufkraft und Nutzungsinteressen sorgen bei Einheitspreisen und Urheberschutzverschärfung also für einen größeren Wohlfahrtsverlust durch Unternutzung, als Novos und Waldman (1984) in ihrem Modell vorschlagen. Zusätzlich gilt, dass bei einer Verschärfung des Urheberschutzes die urheberschutzabhängigen Zusatzkosten des Kopierens für diejenigen zunehmen, die im Sekundärmarkt verbleiben. Novos und Waldmans Annahme von abnehmenden Wohlfahrtsverlusten durch Unternutzung aufgrund einer Urheberschutzverschärfung muss also widersprochen werden.

Novos und Waldman (1984) greifen auch beim Wohlfahrtsverlust aufgrund von Unterproduktion eine in der Literatur geteilte Annahme an, nach der dieser durch eine Steigerung des Urheberschutzes in jedem Fall gesenkt wird. Normalerweise steigert eine Verschärfung des Urheberschutzes die Erlösmöglichkeiten der Urheber, so dass diese die Qualität des Angebots anheben. Novos und Waldman (1984) weisen aber auf einen gegenläufigen Effekt hin. Durch verschärften Urheberschutz können die Urheber auch die Preise anheben, was mehr Nutzer in den Sekundärmarkt drängt, da sich die Kopierkosten nicht ändern und Kopien damit für eine größere Zahl von >>38<< Nachfragern billiger als Originale werden. Novos und Waldman schließen daraus, dass dieser Effekt zwar in der Regel um so geringer ausfällt, je strenger der Urheberschutz ist, zeigen aber in ihrem Modell die mathematische Möglichkeit, dass dieser Effekt so stark werden kann, dass mit steigendem Urheberschutz der Wohlfahrtsverlust aufgrund von Unterproduktion zunimmt. (Novos und Waldman 1984: 243)

Auf die Realität ist dieses unerwartete Ergebnis jedoch kaum übertragbar: Die Preiserhöhung, die die Nachfrager in den Markt für Kopien drängt, findet schließlich nur deshalb statt, weil die Qualität des Gutes aufgrund des gesteigerten Urheberschutzes erhöht wurde (so auch Novos und Waldman 1984: 243). Führte der Urheberschutz jedoch in Wirklichkeit zu einer Senkung der Qualität - denn nur dies bedeutet einen gestiegenen Wohlfahrtsverlust aufgrund von Unterproduktion -, so sänken notwendigerweise auch die Preise. Dies führte jedoch bei stärkerem Urheberschutz zu einem Verkauf von mehr Originalen als mit geringerem Urheberschutz, und die Qualität könnte wieder gesteigert werden. Der von Novos und Waldman entdeckte Effekt kann daher allenfalls den qualitätssteigernden Effekt aufgrund von Urheberschutzverschärfung abschwächen, nicht jedoch umkehren. Zudem widersprechen sich die Autoren, denn auch in ihrem Modell erhöht eine Urheberschutzverschärfung die Kosten der Kopienerstellung, diese bleiben also nicht konstant.


2.3.5.2 Das Johnson-Modell

Johnson (1985) wendet in seiner Studie ,,Economics of Copying" das zirkuläre Modell des monopolistischen Wettbewerbs von Salop (1979) an.12 Nachfrager und Medieninhalte sind gleichmäßig entlang einer Kreislinie angeordnet; die Qualität des Gutes ist nicht veränderbar. Der Bruttonutzen µ des Werkes verringert sich um die Distanz d des Konsumenten vom Werk auf den Nettonutzen µ-d. Der Konsument kann eine Einheit eines Werkes zum Preis von 1 p oder zu den Kopierkosten 1 w (Lohn während der Zeit des Kopierens) erhalten. Erst wenn µ - (d + p) oder µ - (d + w) positiv ist, erhält der Konsument eine Konsumentenrente und er konsumiert. Wenn w größer ist als p, so kauft er ein Original; andernfalls ist Kopieren für ihn günstiger. (Johnson 1985: 164)

In diesem Modell kann das Zulassen von Kopieren kurzfristig die Konsumentenrente erhöhen, wenn es dann Konsumenten gibt, deren Kopierkosten w geringer sind als der geforderte Preis. Es können mehr Individuen das Werk konsumieren, und viele Konsumenten erhalten das Werk zu einem geringeren Preis. Die Gesamtwohlfahrt steigt aber um einen sehr viel geringeren Betrag, da die Produzenten geringere Erlöse erzielen und damit die Produzentenrente >>39<< sinkt. Auch sind mit dem Kopieren (wie bei Novos und Waldman 1984) höhere und unproduktive Aufwendungen an Arbeitszeit verbunden. Aus diesem Grunde kann auch der kurzfristige Wohlfahrtsgewinn durch die Zulassung von Kopieren genau dann negativ ausfallen, wenn die Summe der Konsumentenrente der neu hinzugekommenen Nutzer kleiner ist als die Summe der Kopierkosten w der vom Kauf zum Kopieren gewechselten Nutzer.

Langfristig wird das Angebot bei Zulassung von Kopieren auf ein niedrigeres Gleichgewichtsniveau zurückgehen, da mit den geringeren Erlösen weniger Werke finanziert werden können. Daher kann die Summe der Konsumentenrente aller Werke sinken, auch wenn die Konsumentenrente pro Werk steigt. Wie stark die Konsumentenrente durch einen Rückgang der Angebotsvielfalt sinkt, hängt davon ab, wie viel Wert die Konsumenten auf Angebotsvielfalt legen. Sind zum Beispiel alle Angebote perfekte Substitute, so würde die Konsumentenrente durch Sinken der Angebotsvielfalt überhaupt nicht beeinträchtigt werden. Die soziale Wohlfahrt steigt dann sogar, da weniger Ressourcen für die Produktion von überflüssiger Vielfalt aufgewendet werden. (Vgl. Johnson 1985: 165f) Falls die Vielfalt durch Zulassung von Kopieren auf ein suboptimales Niveau gesenkt wird, empfiehlt Johnson Abgaben auf Kopien oder Kopiergeräte, um die soziale Wohlfahrt zu erhöhen. Ähnliches kann durch Subventionierung der Urheber erreicht werden. (Johnson 1985: 171f)

Ähnlich wie bei Novos und Waldman (1984) sieht Johnson (1985) keine Unterschiede in der Kaufkraft der Nachfrager und der ihrer Nutzungsintensität vor. Immerhin berücksichtigt er aber Unterschiede in den Nachfragerpräferenzen, die sich in der Position der Nachfrager auf der Kreislinie ausdrücken. Die Annahme, dass Kopieren entweder zulässig ist oder vollständig unterbleibt, ist jedoch unglaubwürdig. Relativ einfach ist hingegen, eine graduelle Änderung des Schutzniveaus der Werke mit unterschiedlicher Wirkung auf die Nachfrager - abhängig von ihrer Lohnrate w - in das Modell einzufügen. Der Grad des Urheberschutzes könnte wie bei Novos und Waldman (1984) ein Faktor von w sein, der Kopieren besonders für die Nachfrager teurer macht, deren Lohnrate w ohnehin schon hoch ist. Allerdings müsste dafür auch hier die Lohnrate w variieren können.


2.3.5.3 Das Besen-Kirby-Modell

Die zentrale Variable in Besen und Kirbys (1989) Modell besteht in den marginalen Kosten einer Kopie in Abhängigkeit von der Anzahl der von einem Original erstellten Kopien. Die marginalen Kopierkosten verlaufen steigend, wenn die Kosten einer Kopie um so höher sind, je mehr Kopien von einem >>40<< Original angefertigt werden.13 Die Zahl der Kopien von einem Original ist dann begrenzt, und bei steigender Nachfrage nach Kopien steigt auch die Nachfrage nach Originalen. Die Urheber können in diesem Fall die Preise für Originale erhöhen und so von der Nachfrage nach Kopien wenigstens einen Teil abschöpfen (,,indirect appropriability").

Sind die marginalen Kopierkosten jedoch konstant, so ist der Urheber gezwungen, seine Preise bis zu dem Punkt zu senken, der durch die Substituierbarkeit von Originalen durch Kopien bestimmt ist. Wenn die Nachfrager keinen Unterschied zwischen Kopien und Originalen sehen, kann der Urheber den Preis lediglich in Höhe der marginalen Kopierkosten setzen. Da der Urheber nur noch über die Befriedigung der Nachfrage nach Originalen seine Kosten decken kann, sprechen Besen und Kirby (1989: 257) von ,,direct appropriability".

Die Urheber können durch die Erhebung von Tantiemen oder Kopierabgaben besser gestellt werden, wenn Kopien von schlechterer Qualität sind als die Originale. Wenn ,,indirect appropriability" vorliegt, sollte die Abgabenhöhe um so geringer gesetzt werden, je gleichwertiger Kopien und Originale sind und je geringer die Kopierkosten im Vergleich zur Produktion von Originalen sind. (Vgl. Besen und Kirby 1989: 272-280) Besen und Kirby geben leider keine Antwort auf die Frage, wie hoch die Kopierabgaben gesetzt werden sollten, wenn nur ,,direct appropriability" vorliegt, die Kopien jedoch perfekte Substitute sind. Vermutlich müssten dann die Tantiemen erhöht werden, damit Kopien teurer als Originale werden und die Urheber mehr als ein einziges Exemplar verkaufen können.


2.3.5.4 Quantitative Bewertung von Piraterie und Schrankenbestimmungen

Eine genaue quantitative Bewertung der Wohlfahrtsverluste durch Piraterie und Schrankenbestimmung im Urheberschutz ist aus mehreren Gründen unmöglich. Das geringste Problem ist die Beschaffung von Zahlenmaterial, das den Umfang von Piraterie darstellt. Diese Zahlen werden jedoch in der Regel von Medieninhalteanbietern erhoben, so dass kritisch geprüft werden muss, ob sie nicht aus Eigeninteresse eher zu hoch als zu niedrig angesetzt sind. Oft wird die Methode angewendet, die Zahl umlaufender Raubkopien mit dem durchschnittlichen Stückerlös des Marktes zu multiplizieren, um so einen Wert für den entgangenen Umsatzverlust zu erhalten (vgl. IIPA 1997). Hierbei wird nicht berücksichtigt, dass mit den Raubkopien durch deren zum Teil geringere Qualität und dem Strafverfolgungsdruck ein Marktsegment bedient wird, was über den legalen Markt entweder überhaupt nicht oder nur zu besonders geringen Preisen zu erreichen wäre (vgl. Eisenberg 1993: 26). Andererseits >>41<< könnten die Urhebervertreter auch argumentieren, dass sie bei einem verbesserten Urheberschutz in der Lage wären, ihre Preise und auch die Qualität ihrer Produkte anzuheben, was die Schadensbeurteilung weiter erschwert. Natürlich fehlen in den Daten der Urhebervertreter auch Aussagen über den Wohlfahrtsgewinn, der durch Piraterie entsteht, indem Nachfrager bedient werden, die sonst durch den Preis vollständig von der Nutzung ausgeschlossen wären. Schließlich finden sich kaum Aussagen zu den Erlösminderungen durch die Schrankenbestimmungen im Urheberschutz. Offensichtlich unterlassen die Urheber dies aus politischen Gründen, um so die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Entscheidungsträger auf Straftatbestände zu konzentrieren.

Auf dem deutschen Buchmarkt ist Piraterie kein Problem mehr, nachdem es in den sechziger und siebziger Jahren noch vereinzelt Schwarzpressungen gab (vgl. Wittmann 1991). Ein relativ neues Phänomen ist die illegale Reproduktion von Softwarehandbüchern, was aber eher der Software-Piraterie zugerechnet werden muss.

Für den Bereich der geschäftlich genutzten Computerprogramme schätzt Microsoft - gestützt auf eine Studie der Business Software Alliance (BSA) -, dass 1996 der Piraterieanteil in Westeuropa bei 43 Prozent und in den USA bei 27 Prozent lag. In Westeuropa wäre 1996 ein Mehrumsatz von 23 Milliarden US$ möglich gewesen, wenn der Piraterieanteil so niedrig wie in den USA wäre. Dies würde zugleich 201 645 neue Arbeitsplätze und 9,5 Milliarden US$ zusätzliche Steuereinnahmen bedeuten. (Vgl. Microsoft Corporation 1998b) Für die USA hat die BSA allerdings eine ähnliche Studie vorgelegt, die weit weniger optimistisch ist. Bei einer vollständigen Eliminierung der Piraterie würden in den USA nur 130 000 neue Arbeitsplätze entstehen, obwohl das Gesamtvolumen des US-Marktes 102,8 Milliarden US$ beträgt und in diesem Modell der Piraterieanteil erheblich stärker (von 27 Prozent auf null) gesenkt würde. (Microsoft Corporation 1998a)

Der Markt für Spielfilme wird vor allem durch Videokassettenpiraterie gestört. Von Bedeutung ist in diesem Fall, dass Pirateriekassetten nicht nur die Auswertung der Filme über den Videoverleih und Videoverkauf stören, sondern auch die Kinoauswertung (Kinofilmpiraterie), denn oft tauchen raubkopierte Videokassetten bereits vor oder während der Kinoaufführung auf. In manchen südamerikanischen und afrikanischen Ländern ist der Piraterieanteil so hoch, dass die Verleihe vollständig auf ein legales Angebot verzichten. Die den Rechtsinhabern entgangenen Erlöse in diesen Ländern sind kaum zu schätzen und bleiben daher in wissenschaftlichen Untersuchungen unberücksichtigt. (Vgl. Wildman und Siwek 1988: 122-125)

Wildman und Siwek (1988) schätzen unter Berufung auf eine Studie der MPEAA (Motion Picture Export Association of America) von 1985 den weltweiten Verlust durch Pirateriekassetten auf eine Milliarde US$ jährlich. ,,[The] market shares achieved by pirated videocassettes range from 20 >>42<< percent in such major markets as Australia, Canada, and France to 100 percent in Brazil, Colombia, and Mexico." (Wildman und Siwek 1988: 103) Für Westdeutschland beispielsweise schätzte die MPEAA einen Piraterieanteil von 45 Prozent, für Spanien 65 Prozent und für die Niederlande 60 Prozent (Wildman und Siwek 1988: 103). Der Schaden allein für die deutsche Videowirtschaft wurde für 1985 auf 250 bis 500 Millionen DM geschätzt (Eisenberg 1993: 26). In Reaktion darauf wurde in Deutschland die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverstößen (GVU) gegründet, welche den Piraterieanteil im legalen Verleihhandel auf ,,derzeit deutlich unter 10 %" senken konnte; eine Kinofilmpiraterie gibt es ,,im Gegensatz zu den meisten Ländern der Welt praktisch" nicht mehr (GVU 1998).

Über den Piraterieanteil am Musikmarkt sind kaum Daten verfügbar. Fest steht jedoch, dass in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern der Musikmarkt nahezu vollständig durch illegale Kopien bedient wird. So liegt der Piraterieanteil bei Musikkassetten in Brasilien bei 95 Prozent, weil wie auch in anderen lateinamerikanischen Ländern ein qualifizierter Schutz der Urheberrechte fehlt (QuickLinks: 6. Februar 1998).14 Viel diskutiert wird auch das umfangreiche Schwarzpressen von Musik-CDs (neben Software-CDs) in China. Über die Höhe der Gesamtschäden liegen aber keine Zahlen vor.15

Die volkswirtschaftlichen Schäden der Piraterie gehen noch über die Werte hinaus, die allein durch den Piraterieanteil auf den Märkten angedeutet werden, weil (1) die Urheberschutzbranchen beträchtliche Ressourcen aufwenden, nur um Piraterie zu erschweren (z.B. Softwareverschlüsselung), und (2) diese Maßnahmen zuweilen völlig unbeabsichtigte, wohlfahrtsschädliche Sekundäreffekte haben. Barrow (1997) zeigt das Beispiel der Spielkonsolen auf, die nur deshalb die Heimcomputer der frühen achtziger Jahre als führende Computerspielplattform ablösten, weil sie schon von ihrer Konstruktion her kein Kopieren der Software zuließen. Mit der Schreibunfähigkeit der Spielkonsolen blieb jedoch viel Kreativität der jungen Nutzer ungeübt und viel Talent unentdeckt. Bei Fortsetzung der Spieleentwicklung auf Heimcomputern - ermöglicht durch einen frühzeitig verliehenen wirksamen Urheberschutz für Computerprogramme - wäre das zu vermeiden gewesen. >>43<<

    7 Zu dieser Reform fällte der Bundesgerichtshof im Juli 1971 fünf Entscheidungen bezüglich der §§ 27 (1) UrhG (Vermiet- und Verleihrecht), 46, 47, 53 (5) UrhG (Schrankenbestimmungen, siehe Kapitel 2.3.3) und 135 UrhG (Übergangsbestimmungen). (Vgl. Davies 1994: 124f)

    8 Hettinger (1989: 38f) macht noch einen weiteren Kritikpunkt am geistigen Eigentum, der aber weit weniger nachvollziehbar ist. Der Wert eines geistigen Eigentums sei ,,a socially created phenomen, depending on the activity (or nonactivity) of other producers, the monetary demand of purchasers, and the kinds of property rights, contracts, and markets the state has established and enforced." (Hettinger 1989: 38) Ein Problem kann hierin jedoch kaum gesehen werden, schließlich sollen sich die Leistungsanreize in der Wirtschaft nicht nach den persönlichen Mühen der Aktivität richten, sondern nach dem, was andere an Nutzen aus einer Aktivität ziehen. Profitieren viele Menschen mit einer hohen Kaufkraft zugleich von einer Aktivität, so sollten entsprechend auch die Anreize zur Aktivität besonders stark sein.

    9 Dieser zusätzliche Wohlfahrtsverlust besteht im zusätzlichen Ausschluss von Nutzern vom Markt für Originale (durch den jetzt möglichen höheren Preis) sowie im zusätzlichen Ausschluss von Nutzern vom Sekundärmarkt (durch erhöhten Urheberschutz).

    10 Novos und Waldman (1984) dehnen zwar ihre Aussage, dass der Verlust aufgrund von Unternutzung durch eine Verschärfung des Urheberschutzes nicht zunehmen muss, auch auf diesen Fall aus, bleiben jedoch den Beweis schuldig (vgl. Novos und Waldman 1984: 238 und 245).

    11 Diese Wirkung sieht auch das Modell von Novos und Waldman (1984) vor, ohne dass dieser Kostenanstieg aber in der Bewertung einer Verschärfung des Urheberschutzes berücksichtigt wird.

    12 Das zirkuläre Modell des monopolistischen Wettbewerbs wird detaillierter in Kapitel 4.4.4 vorgestellt und angewendet.

    13 Dies ist zum Beispiel beim Kopieren von Langspielplatten der Fall, da die Wiedergabequalität mit der Anzahl der Abspielvorgänge zurückgeht. Die Qualitätsabnahme der Kopien kann dann als Anstieg der Kopierkosten aufgefasst werden.

    14 Seit 1998 scheint zumindest Brasilien den Schutz der Urheberrechte sehr ernst zu nehmen und hat zwei neue Gesetze zur Bekämpfung der Piraterie erlassen (QuickLinks: 6. Februar 1998).

    15 Die International Intellectual Property Alliance (IIPA) schätzt die 1995er Gesamtschäden der US-Medienbranche durch Piraterie in anderen Ländern auf fast fünfzehn Milliarden US$. Die Schäden betrugen der Schätzung zufolge im Bereich der audiovisuellen Medien 2 267,1; in der Musikbranche 1 279,5; bei geschäftlichen Computerprogrammen 7 216,9; bei Unterhaltungssoftware 3 092,6 und bei Büchern 783,0 Millionen US$. (IIPA 1997)

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