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Ökonomie der Medieninhalte.
Allokative Effizienz und Soziale Chancengleichheit in den Neuen Medien
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3.3 Für den Medieninhaltevertrieb relevante Reaktionen des Urheberrechts

Mit den neuen Nutzungsformen von Medieninhalten, die mit der explosionsartigen Entwicklung des Internets in den neunziger Jahren an Bedeutung gewannen, rückte auch der Urheberschutz in den Neuen Medien ins öffentliche Interesse. Zunächst wurde das Internet vor allem als Gefahr für den Urheberschutz betrachtet, weil lediglich wahrgenommen wurde, wie leicht Piraterie zu betreiben und wie verbreitet sie war: Urheberrechtlich geschützte Inhalte konnten von jedem Nutzer des Internets (oder anderer Netzwerke) >>112<< zum kinderleichten Herunterladen durch jeden anderen bereitgestellt werden.60 Dabei war zudem lange Zeit noch nicht einmal klar, was an diesem Vorgehen der eigentliche Akt der Piraterie war - das Bereitstellen auf einem öffentlich zugänglichen Server durch einen rechtmäßigen Besitzer oder das Herunterladen durch Dritte, die keine Nutzungsrechte von den Rechtsinhabern erworben hatten?

Mitte der neunziger Jahre begann die von den Vereinten Nationen einberufene World Intellectual Property Organization (WIPO), die USA mit ihrer Information Infrastructure Task Force (vgl. Lehman 1995) und die Europäische Kommission unter anderem mit dem Grünbuch über das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft (Europäische Kommission 1995), die urheberrechtlichen Fragen der Neuen Medien aufzugreifen. Bei der damit verbundenen politischen Auseinandersetzung wurde deutlich, wie unterschiedlich die Auffassungen der verschiedenen Interessengruppen waren. Während die Inhaltevermittler und die Urheber selbst im Internet nicht nur einen urheberrechtlichen Notstand, sondern immer mehr auch kommerzielle Chancen sahen (vgl. Barrow 1997), fanden sich unter den (selbsternannten) Sprechern der Nutzerinteressen ,,Ureinwohner" (Möschel und Stiegler 1996) aus der Pionierzeit des Internets, welche den Urheberschutz in den Online-Medien am liebsten für ungültig erklären würden: ,,Wenn es die alten Gefäße nicht mehr gibt, ist alles, was wir über geistiges Eigentum wissen, falsch. Wir werden alles darüber vergessen müssen. Wir werden Information betrachten müssen, als hätten wir das Zeug noch nie gesehen." (Barlow 1996: 106)

In der politischen Debatte konnten sich die Positionen der Urheberrechtsgegner jedoch nie durchsetzen. Statt dessen zeigte sich, dass sich die dem Urheberrecht zugrundeliegenden Konzepte durchaus auch auf die Neuen Medien anwenden lassen. Diese Auffassung wurde schon seit Beginn der Diskussion weitestgehend sowohl in akademischen Kreisen (vgl. Schricker 1997: 5) als auch von den beteiligten Regierungsorganisationen geteilt (vgl. Bundesministerium für Wirtschaft 1996: 55; Europäische Kommission 1997c: 10). Erklärtes Ziel der gouvernementalen Bemühungen zur Anpassung des Urheberschutzes ist es, sowohl ein Gleichgewicht ,,zwischen den Interessen aller Beteiligten"61 (Europäische Kommission 1995: 7) als auch zwischen den >>113<< im öffentlichen Interesse liegenden Zielen62 herzustellen und zu erhalten. An dieser Stelle soll lediglich auf die ökonomisch bedeutsamen Anpassungen im Detail eingegangen werden, da sich die Neuen Medien allenfalls formal auf die Zuordnung der Urheberschaft, das Urheberpersönlichkeitsrecht, das Urhebervertragsrecht und die verwandten Schutzrechte auswirken.


3.3.1 Schutzgegenstand

Das Urheberrecht gewährt den Urhebern Schutz auf ihre Werke. Aus den technischen Entwicklungen der Neuen Medien erwächst in drei Bereichen ein Anpassungsbedarf des Werkbegriffs, was für den Vertrieb von Medieninhalten jedoch nur von geringer Bedeutung ist:

(1) Die Digitalisierung ermöglicht eine wirtschaftlich bedeutsame Verwertung von Werkteilen, die so klein sind, dass ihnen eine hinreichende Individualität fehlt und daher bislang auch kein urheberrechtlicher Schutz zusteht. Es empfiehlt sich jedoch nicht, die Schutzschwelle für den Werkteilschutz abzusenken, um eine missbräuchliche Verwendung fremder Werkteile zu verhindern, da dies letztendlich ,,zu einer unerträglichen Behinderung des Schaffens" zum Beispiel von Multimediaentwicklern führen könnte. Schricker (1997: 32) rät statt dessen, systematische Ausbeutungshandlungen mit Hilfe des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb zu unterbinden. (Vgl. auch Becker 1994: 54)

(2) Viele Mehrwertdienste innerhalb der Neuen Medien, welche eine Überprüfung, Vervollständigung und Ordnung von Daten oder Inhaltsfragmenten leisten, wurden durch das traditionelle Urheberrecht nicht geschützt: Da sich der Urheberschutz nur auf die äußere Form des Werkes und nicht auf seinen Inhaltsgegenstand erstreckte, konnten die als Mehrwertdienste geschaffenen Datenbanken durch den freien Gebrauch einzelner Teile beliebig ausgebeutet werden. Selbst wenn für die einzelnen Fragmente ein urheberrechtlicher Schutz bestand, wie in Sammelwerken der Literatur, konnte nicht der Hersteller einer Datenbank, sondern nur der Rechtsinhaber des einzelnen Datenbankbestandteils die freie Nutzung der selbständigen Teile untersagen. Zwar ging der deutsche Gesetzgeber schon in seiner Amtlichen Begründung zur Urheberrechtsreform von 1965 zu einer ,,prinzipiellen Gleichbehandlung von Form und Inhalt" über63. Es wurde jedoch erst mit der Umsetzung der europäischen Datenbankrichtlinie (96/9/EG) ein Rechtsschutz sui generis für Datenbanken geschaffen und mit dem Informations- und Kommunikations- >>114<< dienste-Gesetz zum 1. Januar 1998 als ,,Schutz des Datenbankherstellers" ins deutsche UrhG eingefügt. Mit diesem, im traditionellen Urheberrecht bislang unbekannten Recht werden die ,,für die Beschaffung, die Überprüfung oder die Darstellung" (Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie) des Datenbankinhalts aufgewendeten wesentlichen Investitionen geschützt. Eine eigene geistige Schöpfung bei der Herstellung oder die Schutzfähigkeit der einzelnen Datenbankbestandteile ist daher für einen Schutzanspruch nicht mehr notwendig. (Vgl. Pethig 1997: 16)

Mit dem Rechtsschutz sui generis steht die Europäische Union jedoch noch weltweit alleine da: Allein schon die Diskussion über einen entsprechenden, weltweiten Vertrag (WIPO 1996) auf der Diplomatischen Konferenz der WIPO im Dezember 1996 in Genf wurde aufgrund des heftigen Widerstands vertagt (Lorenz-Meyer 1997; Medosch 1997). Auch in den USA wurde eine entsprechende Passage aus dem Digital Millenium Copyright Act ersatzlos gestrichen. (Macavinta 1998)

(3) Multimediawerke stellen aufgrund ihrer Verschmelzung unterschiedlicher Werkarten zu einer Einheit sowie aufgrund ihrer Interaktivität eine eigene Werkart dar. Zum einen können sie nicht als bloße Sammelwerke oder Datenbanken aufgefasst werden, weil sie mehr sind als eine bloße Zusammenstellung voneinander unabhängiger Werke. Das ganzheitliche Zusammenwirken aller einzelnen Bestandteile stellt sie zwar in die Nähe der Filmwerke, welche ebenfalls als Gesamtkunstwerke einen eigenen Schutz genießen, doch gehen die Multimediawerke mit der ihnen möglichen Interaktivität auch weit über die Darstellungsmöglichkeiten von Filmwerken hinaus. Schricker (1997: 43) schlägt daher vor, Multimediawerke als eigene Werkart im (ohnehin nicht abgeschlossenen) Werkskatalog von § 2 Absatz 1 UrhG aufzunehmen. Alternativ könne überlegt werden, allgemein als Werk eine untrennbare Verbindung von Elementen anzuerkennen, auch wenn die Elemente verschiedenen Kategorien angehören. (Vgl. Schricker 1997: 38-43) Während der deutsche Gesetzgeber in dieser Frage bislang nicht aktiv geworden ist, geht die Europäische Union in der Urheberrechtsrichtlinie den Weg, auf die Auflistung einzelner Werkskategorien ganz zu verzichten (vgl. Europäische Kommission 1997c).


3.3.2 Urheberverwertungsrecht

In den Neuen Medien entfällt bei der Vermittlung von Medieninhalten an die Nutzer der bisher übliche Vertrieb von Vervielfältigungsstücken oder die programmgebundene Sendung der Inhalte. Statt dessen erhalten die Nutzer jederzeit, an jeden beliebigen Ort und ohne Fixierung auf einem Speichermedium die gewünschten Inhalte auf individuellen Abruf. Diese neue Verwertungsart urheberrechtlich geschützter Werke ist nicht oder nur bedingt in die traditionellen Nutzungsarten einzuordnen. Die Reichweite des urheberrechtli- >>115<< chen Schutzes sowie die Anwendung des Urheberrechts war vor allem aus diesem Grund in den Neuen Medien besonders schwierig. Anfangs wurde von vielen Autoren und Interessenvertretern versucht, die Verwertungshandlungen entweder unter das Senderecht, das Verbreitungsrecht oder das Vermietrecht zu fassen. Letztendlich konnte sich eine Argumentation durchsetzen, welche zwar an das Senderecht als Form der öffentlichen Wiedergabe angelehnt ist, jedoch die Interaktivität und Individualität der Bereitstellung berücksichtigt. Nach der Darstellung dieser Auffassung, welche sich auch in den WIPO-Verträgen und im Vorschlag zu einer EU-Urheberrechtsrichtlinie wiederfindet, wird die Problematik des Erschöpfungsgrundsatzes gesondert aufgegriffen.


3.3.2.1 Ausschließliches Recht der ,,öffentlichen Zugänglichmachung"

Bei den Konsultationen zum europäischen Grünbuch über den Schutz der Urheberrechte in der Informationsgesellschaft sprach sich eine deutliche Mehrheit dafür aus, die auf Abruf erfolgenden Übertragungen von Medieninhalten auf der Basis der Rechte zur öffentlichen Wiedergabe zu regeln. Da das bereits unter diese Gruppe fallende Senderecht aufgrund seiner engen technischen Definition und der auf den Rundfunk zugeschnittenen Regulierungen nicht für eine Anwendung geeignet ist, bot es sich an, eine neue Nutzungsart der öffentlichen Wiedergabe zu definieren. (Europäische Kommission 1996: 12) Mit Artikel 3 Absatz 1 des Vorschlags zu einer Urheberrechtsrichtlinie der Europäischen Union spricht die Europäische Kommission den Urhebern ein entsprechend umfassend definiertes Recht der öffentlichen Wiedergabe zu:

    ,,Die Mitgliedstaaten sehen vor, daß Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die öffentliche drahtgebundene oder drahtlose Wiedergabe von Originalen und Vervielfältigungsstücken ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, daß sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten."

Eine fast wortgleiche Regelung wurde auf Vorschlag der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten auch durch die Genfer WIPO-Konferenz in Artikel 8 des WIPO-Urheberrechtsvertrags von 1996 getroffen. Das damit neu geschaffene ausschließliche Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ist direkt auf den interaktiven Online-Abruf zugeschnitten. Durch den kumulativen Öffentlichkeitsbegriff grenzt es sich von dem - ebenfalls unter diesen Absatz fallenden - deutschen Senderecht in § 20 UrhG ab, welches damit eindeutig nur noch für programmgebundene Übertragungen gilt (vgl. Europäische Kommission 1996: 21). Zugleich wird der Vorgang der öffentlichen Zugänglichmachung eindeutig vom Vervielfältigungsrecht und vom Verbreitungsrecht abgegrenzt (Liedes und Olsson 1998: 104). Den Rechtsinhabern, welche ihre Werke öffentlich zugänglich machen, steht es damit vollkommen frei, welche Rechte sie ihren Kunden mit der Gewährung des Abrufs zu >>116<< welchen Bedingungen einräumen. Eingeräumte Nutzungsrechte können daher - wie beim Empfang eines Rundfunkprogramms - ausschließlich das einfache Nutzungsrecht oder auch das Recht zur Anfertigung einer dauerhaften Kopie umfassen.64


3.3.2.2 Erschöpfungsgrundsatz des Verbreitungsrechts

In den USA, in Deutschland und in den meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erschöpft sich das ausschließliche Recht eines Urhebers zur Verbreitung des Originals oder von Vervielfältigungsstücken seines Werkes mit der ersten rechtmäßigen Eigentumsübertragung dieses Gegenstandes (Europäische Kommission 1996: 17).65 Der ökonomische Grund für diesen Erschöpfungsgrundsatz des Verbreitungsrechts besteht nicht nur in den fehlenden Kontrollmöglichkeit des weiteren Verbleibs der Gegenstände. Entscheidend ist vielmehr der hohe materielle Herstellungsaufwand von Vervielfältigungsstücken. Nachdem ein Nutzer den Gebrauchswert des von ihm erworbenen Vervielfältigungsstückes durch den Konsum des gespeicherten Medieninhalts für sich verwirklicht hat, können weitere Personen den Inhalt nutzen, ohne dass ein neues Vervielfältigungsstück angefertigt werden muss. Gleichzeitig kann der erste Nutzer zusätzlich zum Gebrauchswert auch den Tauschwert des Werkes realisieren, was seine Zahlungsbereitschaft erhöht. Wenn ihm hingegen vom Urheber der Wiederverkauf untersagt werden könnte, so würde seine Zahlungsbereitschaft entsprechend niedriger ausfallen. Zudem würden dem Rechtsinhaber bei der Herstellung der eigentlich überflüssigen Vervielfältigungsstücke unnötige Kosten entstehen. (Vgl. Möschel und Stiegler 1996)

Bei der Verbreitung der Medieninhalte in den Neuen Medien gibt es keinen derartigen materiellen Aufwand wie bei der körperlichen Verbreitung. Ebenso wie beim Rundfunk oder beim Vermieten von Werken ist es bei der Online-Verbreitung unnötig, für jeden Nutzer ein eigenes Vervielfältigungsstück anzufertigen. Die Übertragung von Werken auf Abruf kann wie Rundfunk oder Vermietung als eine Dienstleistung aufgefasst werden, die beliebig oft wiederholt werden kann. Aus ökonomischen Gründen gibt es daher keine Rechtfertigung für die Erschöpfung irgendeines Rechts durch die elektronische Verbreitung der Werke. Entsprechend sollte der Online-Vertrieb den - sich ebenfalls durch keine Verwertungshandlung erschöpfenden - Rechten zur Sendung und Vermietung gleichgestellt werden. (Möschel und >>117<< Stiegler 1996; Möschel 1998b; Europäische Kommission 1995: 47f) Würde sich hingegen das Verbreitungsrecht durch die Online-Übertragung eines Werkes in Bezug auf eine dabei angefertigte, rechtmäßige Kopie erschöpfen, so wäre mit erheblichen Störungen der legitimen Verwertungsinteressen zu rechnen: Aufgrund der geringen Transaktionskosten in den Neuen Medien könnte eine einzige elektronische Kopie eines Werkes allein durch regelmäßige Neuverkäufe einer unüberschaubaren Vielzahl von Nutzern bereitgestellt werden. Das würde dem Rechtsinhaber die Kontrolle über die Nutzung seines Werkes weitestgehend entziehen, ohne jedoch in irgendeiner Form zu volkswirtschaftlichen Einsparungen zu führen.

Im Wesentlichen gab es daher in der Literatur sowie in den Konsultationen bei den Bestrebungen zur Harmonisierung des Urheberrechts in der Europäischen Union einen Konsens, dass eine Online-Übertragung eines Werkes zu keinerlei Erschöpfung der Rechte führen darf. Mit der Subsumierung der Online-Verbreitung unter die Rechte der öffentlichen Wiedergabe kommen der Vorschlag der europäischen Urheberrechtsrichtlinie sowie der WIPO-Urheberrechtsvertrag dieser Auffassung automatisch nach. Der Entwurf der Urheberrechtsrichtlinie weist sogar in Absatz 3 von Artikel 3 ausdrücklich auf fehlende Erschöpfungswirkung der öffentlichen Zugänglichmachung hin.


3.3.3 Schrankenbestimmungen

Die zum Schutz der Interessen der Allgemeinheit eingerichteten Schrankenbestimmungen des Urheberrechts wurden bereits in Kapitel 2.3.4 ausführlich diskutiert. In bestimmten Sonderfällen sollen sie die Werknutzung erleichtern, ohne jedoch die berechtigten Interessen der Urheber unzumutbar zu verletzen oder die normale Verwertung ihrer Werke zu beeinträchtigen (sogenannter ,,Drei-Stufen-Test" der Schrankenbestimmungen). Durch die Gewährung von Zwangslizenzen mit Vergütungspflicht oder durch die Gewährung völliger Nutzungsfreiheit schützen die Schrankenbestimmungen die Privatsphäre, ermöglichen geringwertige Nutzungen durch Wegfall der Kosten der Nutzungsrechteübertragung oder fördern soziale, kulturelle, wissenschaftliche, schulische oder sonstige öffentliche Belange. Mit den durch die Neuen Medien hervorgerufenen Veränderungen tauchen im Bereich der Schrankenbestimmungen zwei Probleme auf:

(1) Die EU-Urheberrechtsrichtlinie sieht keine Schrankenbestimmung im Bereich des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung zugunsten der öffentlichen Bibliotheken vor. ,,Im Hinblick auf die zu erwartenden wirtschaftlichen Auswirkungen wäre eine gesetzliche Ausnahme für derartige >>118<< Nutzungen nicht gerechtfertigt." (Europäische Kommission 1997c: 41)66 Den Bibliotheken und vergleichbaren Einrichtungen bleiben lediglich die traditionellen Rechte zum Verleihen und zum Anfertigen von Vervielfältigungsstücken ,,ohne unmittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Nutzen" (Artikel 5 Absatz 2c des Richtlinienvorschlags). Natürlich können sie geschützte Inhalte immer noch öffentlich zugänglich machen, indem sie die entsprechenden Nutzungsrechte vertraglich erwerben. Die Preise für solche Lizenzen dürften jedoch schnell eine kritische Höhe erreichen, da die öffentliche Online-Bereitstellung zu einem vollständigen Verlust der entsprechenden Erlösmöglichkeiten auf Seiten des Rechtsinhabers führen würde. Es ist daher tatsächlich zu erwarten, dass den öffentlich zugänglichen Einrichtungen das Bereitstellen solcher Medieninhalte, deren Nutzung nur über den interaktiven Online-Abruf geschehen kann, praktisch vollständig unmöglich gemacht wird. Besonders sozial schwache Nachfrager werden dann beim Zugang zu Medieninhalten benachteiligt, weil die öffentlichen Bibliotheken im Bereich der Neuen Medien nur noch eingeschränkte Leistungen zur Berücksichtigung ihrer Belange erbringen können. Kapitel 3.4.8 wird dieses Problem unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung des Zugangs zu Medieninhalten als Bedingung sozialer Chancengleichheit weiterverfolgen.

(2) Die Schrankenbestimmungen, die in Deutschland (§ 53 UrhG, vgl. Kapitel 2.3.4) und auf vergleichbare Weise auch in vielen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union verschiedene Nutzungshandlungen zum persönlichen Gebrauch gestatten, sollen die Privatsphäre schützen und die Kosten der Rechteübertragung und Nutzungskontrolle einsparen. Aufgrund der neuen Möglichkeiten zum elektronischen Rechtemanagement ist es jedoch zunehmend möglich, mit geringem Aufwand und ohne unzumutbare Eingriffe in die Privatsphäre auch die dort vorgenommenen Nutzungshandlungen unter die Kontrolle der Rechtsinhaber zu stellen. Außerdem sehen die Rechtsinhaber besonders in einem Fortbestehen der Erlaubnis zur privaten Vervielfältigung angesichts der einfachen Möglichkeiten zur Anfertigung zahlreicher und hochwertiger Kopien eine erhebliche ökonomische Bedrohung. Sie fordern daher, keine der Schrankenbestimmungen zugunsten der privaten Nutzung auf die Neuen Medien zu übertragen. (Vgl. Europäische Kommission 1996: 11)

Während aus diesen Gründen mit Artikel 4 der EU-Computerprogrammrichtlinie (91/250/EWG) und mit Artikel 5 der EU-Datenbankrichtlinie (96/9/EG) die Schrankenbestimmungen zur privaten Vervielfältigung für einen Teilbereich der Neuen Medien bereits außer Kraft gesetzt wurden (Hoeren, Büning und Kaestner 1998), finden sich in dem Vorschlag zur EU-Urheberrechtsrichtlinie keine vergleichbaren Bestimmun- >>119<< gen. Es scheint den Rechtsinhabern jedoch nicht verboten zu werden, mit Hilfe technologischer Maßnahmen die private Vervielfältigung zu verhindern und so die möglicherweise bestehenden nationalen Schrankenbestimmungen de facto außer Kraft zu setzen (vgl. Dussollier 1998). (Vgl. Europäische Kommission 1997c: 39f) Deutlicher wird die Änderung 37 des Europäischen Parlaments, nach dem die Richtlinie die private Vervielfältigung nur noch gestatten soll, ,,wenn keine verläßlichen und wirksamen technischen Mittel zum Schutz der Interessen der Rechtsinhaber zur Verfügung stehen." (Europäisches Parlament 1999; vgl. Barzanti 1999)

Die technologischen Maßnahmen zur Kontrolle aller Nutzungshandlungen haben jedoch nicht nur den - an sich positiven - Effekt, dass die privaten Nutzungen nicht mehr gesetzlich lizenziert zu werden brauchen. Zugleich erfordern sie nämlich grundsätzlich für alle Nutzungshandlungen die Lizenz durch den Rechtsinhaber. Dabei ist es ihnen nicht möglich zu berücksichtigen, ob die Nutzung im Einzelfall schon durch irgendeine Schrankenbestimmung (z.B. zur Förderung der Wissenschaft, der Informationsfreiheit oder sozialer und kultureller Belange) rechtmäßig ist. Um von den entsprechenden Rechten Gebrauch machen zu können, muss der Nutzer daher zumindest erhebliche Mühen auf sich nehmen, um den Rechtsinhaber zur Entfernung des technologischen Schutzes zu bewegen. Sollte der Nutzer hingegen vorziehen, den Schutz selbst zu entfernen, so bleibt zwar seine Nutzungshandlung selbst nach wie vor straffrei, doch macht er sich dann der Umgehung der gesondert geschützten technologischen Maßnahme schuldig. (Vgl. Dussollier 1998)


3.3.4 Verantwortlichkeit der Netzbetreiber bei Urheberrechtsverletzungen durch Netznutzer

Um Urheberrechtsverletzungen, aber auch Verstöße gegen andere Rechtsbereiche (z.B. Presserecht und Jugendschutz) zu kontrollieren, bietet es sich an, die Netzbetreiber für die Handlungen ihrer Nutzer mitverantwortlich zu machen: Sie haben zum einen die besten technischen Möglichkeiten, die angebotenen und übertragenen Daten auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen und im Straffall einzuschreiten (least-cost-avoider-Prinzip). (Baker und Oblon 1996) Zum anderen sind sie jedoch auch die geeigneteren Ziele, wenn die Rechtsinhaber für die mutmaßlichen Schäden aus vorsätzlichen Vergehen möglichst hohe Kompensationszahlungen einklagen wollen (vgl. Panethiere 1998).

Verständlicherweise haben sich die Telekommunikationsunternehmen vehement und auch bislang erfolgreich gegen die Verantwortungsübertragung gewehrt. Sie vergleichen sich als Dienstleister mit den Telefongesellschaften, welche schließlich auch nicht für strafbare Gesprächsinhalte ihrer Kunden verantwortlich sind. (vgl. Baker und Oblon 1996; Barrow 1997: 76) Entsprechend wurde der ursprünglich die Verantwortung der Netzbetreiber regelnde >>120<< Artikel 7 aus dem Entwurf zum WIPO-Urheberrechtsvertrag vollständig gestrichen (Lorenz-Meyer 1997). Auch der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr stellt in den Artikeln 12 bis 15 die Netzbetreiber weitgehend von der Verantwortung für die Inhalte frei (Europäische Kommission 1998a: 11).

Während die Europäische Kommission auch mit Artikel 5 Absatz 1 ihres Vorschlages zu einer Urheberrechtsrichtlinie beabsichtigte, die Netzbetreiber von der Verantwortung für die übertragenen Inhalte freizustellen, schränkte das Europäische Parlament mit der Änderung 33 die Freiheit der Netzbetreiber wieder ein (vgl. Barzanti 1999; Europäisches Parlament 1999).67 Ziel der vom Parlament vorgenommenen Änderung am Richtlinienvorschlag scheint zu sein, den Rechtsinhabern gegenüber den Netzbetreibern die Möglichkeit zu Unterlassungsaufforderungen und -klagen für den Fall zu geben, dass sie eine unerlaubte Zugänglichmachung feststellen. Jedoch könnte der neue Wortlaut auch so zu interpretieren sein, dass die Netzbetreiber grundsätzlich in jedem Einzelfall prüfen müssen, ob die Nutzung zulässig ist. Zudem schränkt die neue Fassung die zulässigen Vervielfältigungshandlungen auf diejenigen ein, die ,,unerlässlicher Teil" der Übertragung sind. Das von den Netzbetreibern vorgenommene caching häufig abgerufener Inhalten, welches wesentlich zur Netzentlastung und Übertragungseffizienz beiträgt, wäre damit in Europa verboten. (Vgl. Creed 1999)


3.3.5 Internationaler Regelungsbedarf

Der Schutz des Urheberrechts richtet sich gemäß dem ,,Schutzlandprinzip" nach den nationalen Regelungen des Landes, für das der Schutz in Anspruch genommen wird (Möschel 1998b: 8). Das führt dazu, dass die Rechtsinhaber bei der Ausbeutung ihrer Werke auf mehreren nationalen Märkten jeweils verschieden hohe Schutzniveaus genießen (Europäische Kommission 1996: 22). Soweit sich die nationalen Märkte nicht überschneiden, macht dies die Werkverwertung lediglich komplizierter, stellt aber kein prinzipielles Problem >>121<< dar. Innerhalb der Neuen Medien ist die Situation jedoch grundsätzlich anders, denn von territorial begrenzten Märkten kann hier nicht mehr die Rede sein. Jedes geschützte Werk kann von jedem beliebigen Ort an jeden anderen Ort der Welt geliefert werden, ohne dass dies technische Probleme aufwirft.

Die direkte Übertragung des Schutzlandprinzips auch auf die Nutzung online zugänglich gemachter Werke würde erfordern, sich zu entscheiden, wo eine Verletzungshandlung begangen wird: in dem Land, in dem die abgerufenen Daten gespeichert sind (Ursprungslandprinzip) oder in dem Land, in dem die Daten schließlich empfangen werden (Empfangslandprinzip). Welchem Prinzip auch immer gefolgt wird, die Auswirkungen auf die Entwicklung der Neuen Medien wären erheblich. Bei dem Empfangslandprinzip wäre zu befürchten, dass ein Inhalteanbieter grundsätzlich die höchsten, in irgendeinem Land geltenden Schutzbestimmungen befolgt, um so nirgendwo auf der Welt die Bestimmungen zu verletzen (race to the top). Beim Ursprungslandprinzip würden sich hingegen die Anbieter von Inhalten mit Sitz in Ländern mit minimalem Schutzniveau durchsetzen, weil hier die Werkausbeutung am leichtesten ist (race to the bottom). (Möschel 1998b; vgl. Europäische Kommission 1996: 23)

Für die Online-Verbreitung von geschützten Werken werden aus diesen Gründen gegenwärtig jeweils die Schutzstandards aller an einer Übertragungshandlung beteiligten Länder zugleich angewendet, was die wirtschaftliche Ausbeutung der Werke zusätzlich erschwert. Die Europäische Kommission (1996: 22f) erwartet daher ohne eine weitrechende Harmonisierung der urheberrechtlichen Bestimmungen eine Zersplitterung des Binnenmarktes und eine Behinderung der Entwicklung der neuen Dienste (vgl. auch Europäische Kommission 1995: 4). Die ,,interessierten Kreise" scheinen jedoch mehrheitlich der Meinung zu sein, die Schwierigkeiten hinreichend ,,über die Vertragsfreiheit und die Anwendung des internationalen Privatrechts" lösen zu können. Es solle eine ,,einfachere Handhabung dieser oft komplizierten Rechtslage nicht durch Harmonisierung, sondern vielmehr durch Erläuterung erfolgen." (Europäische Kommission 1996: 23)

Die grundsätzliche Notwendigkeit, zumindest jedoch die Vorteile einer möglichst globalen Harmonisierung der rechtlichen Schutzbestimmungen bleiben jedoch offensichtlich. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die Urheberverwertungsrechte, sondern auch bezüglich des Schutzes technologischer Maßnahmen zum Schutz der urheberrechtlichen Ansprüche. ,,Nur durch rasche Einigung über geeignete Mindeststandards für den internationalen Schutz des Urheberrechts und der verwandten Rechte kann verhindert werden, daß auf einzelstaatlicher Ebene unterschiedliche Rechtsnormen geschaffen werden und daß Piraterie-Eldorados entstehen." (Europäische Kommission 1996: 29) Damit wird auch die Bedeutung der zwei WIPO-Verträge zum Schutz von Urheberrechten, Darbietungen und Tonträger deutlich: Ohne den - durch die Beteiligung von bislang 159 Mitgliedsstaaten >>122<< (Medosch 1997) quasi globalen - Schutz könnte das ausschließliche Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung praktisch für keinen Ort garantiert werden. Die nur schwer zu kontrollierende grenzenlose Netznutzung braucht theoretisch nur einen einzigen Ort, um entsprechende Rechte weltweit zu unterlaufen. In diesem Zusammenhang ist erneut darauf hinzuweisen, dass es der Diplomatischen Konferenz der WIPO im Dezember 1996 nicht gelungen ist, sich auf einen internationalen Schutz der Rechte der Datenbankhersteller zu einigen. Der in der Europäischen Union geltende Schutz kann daher mühelos in anderen Ländern unterlaufen werden.

    60 Den Trend zur bequemen Urheberschutzverletzung zeigen so genannte peer-to-peer-Internetanwendungen wie Napster, Gnutella und Mojonation: Napster macht es einfacher denn je, den eigenen Personalcomputer zum Internet-Musikserver umzugestalten. Gnutella schafft das gleiche für alle denkbaren Dateiformate und kommt sogar ohne eine zentrale Steuerungseinheit aus, welche bei Napster immer noch nötig ist, um eine Art Inhaltsverzeichnis aller verfügbaren Musiktitel zu verwalten. Mojonation als neuester und technisch am weitesteten entwickelter Dienst arbeitet ähnlich wie Gnutella, benötigt jedoch einen zentralen Agenten um Mikrozahlungen zwischen den Teilnehmern auszuführen.

    61 Als ,,Beteiligte" gelten Rechtsinhaber, Hersteller von Material, Verteiler und Benutzer von Diensten sowie Netzbetreiber (Europäische Kommission 1995: 10).

    62 Schutz der Privatsphäre, Schutz der geistigen Eigentumsrechte, Betrugsvorbeugung, Verbraucherschutz und öffentliche Sicherheit (o.V. 1997).

    63 ,,Einschränkungen werden nur noch bei den wissenschaftlichen Werken gemacht: Wissenschaftliche Theorien, Entdeckungen und Daten sind im Interesse der freien wissenschaftlichen Diskussion gemeinfrei." (Schricker 1997: 33)

    64 Vergleiche hierzu den neuen Regelungen zu den Schrankenbestimmungen des Urheberrechts in Kapitel 3.3.3.

    65 Der Erschöpfungsgrundsatz bezieht sich nur auf die Verbreitung dieses einen Gegenstandes, nicht aber auf das Recht zur Anfertigung und zum Vertrieb weiterer Vervielfältigungsstücke oder auf das Vermiet- und Verleihrecht als weitere Bestandteile des Verbreitungsrechts.

    66 Tatsächlich würde eine gesetzliche Ausnahme wohl kaum den ,,Drei-Stufen-Test" bestehen können. Sie widerspräche damit auch den Bestimmungen zu den Schrankenbestimmungen in Artikel 10 des WIPO-Urheberrechtsvertrags.

    67 Artikel 5 Absatz 1, Vorschlag der Kommission: ,,(1) Die in Artikel 2 bezeichneten vorübergehenden Vervielfältigungshandlungen, die als Teil eines technischen Verfahrens nur deshalb vorgenommen werden, um eine Nutzung eines Werks oder sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen und die keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben, werden von dem in Artikel 2 bezeichneten Recht ausgenommen." Durch das Parlament am 10. Februar 1999 geänderte Fassung: ,,(1) Die vorübergehenden und begleitenden Vervielfältigungshandlungen, die als wesentlicher und unerläßlicher Teil eines technischen Verfahrens nur deshalb vorgenommen werden, um eine Nutzung eines Werks oder sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen, werden von dem in Artikel 2 bezeichneten Recht ausgenommen. Eine derartige Nutzung muß von den Rechtsinhabern genehmigt werden oder gesetzlich erlaubt sein und darf keine wirtschaftliche Bedeutung für den Rechtsinhaber haben." (Europäisches Parlament 1999, Hervorhebungen dort)

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