Ökonomie
der Medieninhalte. 5.8 Ethische Beurteilung Der Begriff der Gerechtigkeit tauchte bereits bei der wettbewerbspolitischen Beurteilung des CPDG-Verfahrens auf. Als Ziel des Wettbewerbs wird dabei die Leistungsgerechtigkeit genannt; funktioniert der Wettbewerb, so wird auch diese Form der Gerechtigkeit erfüllt. Dabei fand aber nur die Anbieterseite Beachtung. Es sind jedoch die Nachfrager, deren Ungleichbehandlung einen funktionsfähigen Wettbewerb und damit die Einhaltung der Leistungsgerechtigkeit unter den Anbietern ermöglicht. In diesem Kapitel wird daher untersucht, ob es neben dem Erhalt der Wettbewerbsfunktionen noch andere Anforderungen gibt, die erfüllt sein müssen, bevor CPDG nicht nur als effizient, sondern auch als ,,gerecht" gelten kann. >>243<< 5.8.1 Abnahme der Leistungsgerechtigkeit und Zunahme der Chancengleichheit Der Idealzustand eines Marktes für Medieninhalte besteht in einem Lindahl-Gleichgewicht, in dem (1) der maximale Nutzen aller produzierten Medieninhalte erzielt wird, weil es keinen Nutzerausschluss mehr gibt, (2) das wohlfahrtsoptimale Niveau an Quantität, Qualität und Vielfalt der Inhalte angeboten wird, (3) jeder Nachfrager seine (preisabhängige) Nachfrage befriedigt und (4) niemand mehr für das Inhalteangebot bezahlt, als er zu zahlen bereit ist. Das Lindahl-Gleichgewicht bedeutet dann, dass die Beiträge zur Finanzierung der Medieninhalte um so höher sind, je höher die persönliche Zahlungsbereitschaft ist. Da CPDG zur Annäherung an dieses Gleichgewicht führt, trägt es zur Abnahme von Leistungsgerechtigkeit bei, da die individuelle Zahlungsbereitschaft auch von der persönlichen Kaufkraft abhängt. Eine auf Leistung beruhende Einkommenssteigerung ist daher im Rahmen der beim CPDG getätigten Ausgaben ohne Einfluss auf die individuelle Wohlfahrt, da der für Medieninhalte aufgewendete Einkommensanteil gleich bleibt, ohne dass sich jedoch die Nutzungsmöglichkeiten von Medieninhalten verbessern. Je größer aber die Teile der Ausgaben sind, die - ähnlich wie viele Steuern - mit steigendem Einkommen wachsen, ohne dass der Grad der Bedürfnisbefriedigung zunimmt, desto geringer sind die Leistungsanreize, die der Betreffende verspürt: die auf einem Mehr an Leistung beruhenden Verbesserungen der Konsummöglichkeiten entsprechen immer weniger dem tatsächlichen Beitrag zur gesellschaftlichen Wohlfahrt. Damit nimmt die Leistungsgerechtigkeit des Wettbewerbs für die Nachfrager durch CPDG ab, obwohl sie erst mit dem CPDG für die Inhalteanbieter hergestellt wird. Tatsächlich ist Leistungsgerechtigkeit nur eine Variante von Gerechtigkeit. Sie steht im Widerspruch zur Verteilungsgerechtigkeit der neoklassischen Grenznutzentheoretiker der Alten Wohlfahrtsökonomie, welche mit dem ersten Gossenschen Gesetz zur abnehmenden Bedürfnisbefriedigung argumentieren (vgl. Gossen 1992 (1854)). Eine Ungleichverteilung des Einkommens ist danach zulässig, wenn sie auf unterschiedliche Bedürfnisse so reagiert, dass der Gesamtnutzen maximiert wird. Wird dieser Regel entsprochen, so fehlen Leistungsanreize völlig. Erst die Neue Wohlfahrtsökonomie interpretiert Verteilungsgerechtigkeit als ,,Teil des Konzeptes der Pareto-Effizienz [. . .], das in allokativer Hinsicht eine funktionale Verteilung des Volkseinkommens unter den Produktionsfaktoren nach der jeweiligen Grenzproduktivität vorsieht. Für die personale Verteilung des Volkseinkommens wird damit das Leistungskriterium zum entscheidenden Verteilungsschlüssel." (Hagel 1993: 251) Akzeptiert man Gleichheit als ,,Wesensmerkmal der Gerechtigkeit" (Weiß 1972: 21), ist es also noch immer schwierig, sich zwischen der Leistungsgerechtigkeit und der Verteilungsgerechtigkeit zu entscheiden. >>244<< Schließlich wenden beide Formen den von Aristoteles formulierten Gerechtigkeitsgrundsatz an, ,,Gleiches gleich, Ungleiches dagegen ungleich, jedoch seiner Ungleichheit entsprechend zu behandeln" (Weiß 1972: 23): Nach der Grenznutzentheorie erhalten die Menschen mehr Güter, die einen höheren Grenznutzen beim Konsum haben und somit das Gesamtnutzenaggregat stärker als andere erhöhen; bei der Leistungsgerechtigkeit erhalten diejenigen mehr, die als Produzenten eine höhere Grenzproduktivität aufweisen und daher auf die ihnen gebotenen Leistungsanreize mit besonders hohen Beiträgen zum Gesamtwert aller produzierten Güter reagieren. Keine demokratische Gesellschaft versucht, eine der beiden Verteilungsgerechtigkeiten in Reinform zu erreichen. Dabei steht der Verteilungsgerechtigkeit der Grenznutzentheoretiker nicht nur der vollständige Mangel an Leistungsanreizen entgegen. Hinzu kommt, wie Buchanan (1971) zeigte, dass auf lange Sicht eine Gleichverteilung aller Güter und Chancen auf regelmäßige Umverteilungseingriffe angewiesen ist, da allein schon Unterschiede im Konsumverhalten ungleiche Besitzstände herausbilden. Einer uneingeschränkten Durchsetzung der Leistungsgerechtigkeit steht jedoch entgegen, dass sie die Stabilität der Gesellschaft gefährdet und extreme Armut als ungerecht empfunden wird oder zumindest Mitleid erregt. Auch ist zu befürchten, dass eine ungleichmäßige Güterverteilung mit einer ungleichen Verteilung der Chancen einhergeht. Dieses führt aber wiederum zu einer Verschwendung von Ressourcen, weil Talente unentdeckt oder unterentwickelt bleiben. (Vgl. Hagel 1993: 268) Demokratische Gesellschaften wählen daher einen Kompromiss zwischen beiden Formen von Verteilungsgerechtigkeit. Dabei gehört es zu den am weitesten akzeptierten Formen der Gleichverteilung, dass der Staat das Existenzminimum der Bürger sowie ihre Chancengleichheit gewährleistet. Dafür erhebt er notwendigerweise Steuern und Abgaben, die zu Lasten der Leistungsgerechtigkeit gehen und die Leistungsanreize senken. (Vgl. Hagel 1993: 263-270; Koller 1994: 103; Ricker 1997) Kapitel 3.5 stellte bereits dar, dass mit der Entwicklung der Neuen Medien dem Zugang zu den Inhalten eine immer größere Bedeutung für die soziale Chancengleichheit zuwächst. Es ist daher zu erwarten, dass ein chancengleicher Zugang zu Medieninhalten in Zukunft ein wesentliches Element staatlich betriebener Gleichverteilung sein wird, wenn dies der Markt nicht eigenständig erreicht. Als mögliche Instrumente, die dem Staat dafür zur Verfügung stehen, nennen Kubicek und Wagner (1995: 183) (1) ,,inhaltliche Bestimmungen", wonach die Anbieter bestimmte Inhalte gratis oder preisgünstig zugänglich machen müssen, (2) ,,finanzielle Zuschüsse für Nutzer", damit diese sich mit frei gewählten Informationen versorgen können, und (3) einen ,,freie[n] Zugang über Bibliotheken". Vergleicht man diese Option mit dem CPDG, so stellt man zunächst fest, dass chancengleicher Zugang zu Medieninhalten durch den Staat wohl nie >>245<< so weitgehend wie mit CPDG gewährleistet werden kann. Hinzu kommt, dass CPDG die nahezu vollkommene Chancengleichheit bei der Nutzung von Medieninhalten über freiwillige Vereinbarungen erreicht. Dagegen würden die staatlichen Maßnahmen autoritäre Eingriffe darstellen, welche die Leistungsgerechtigkeit möglicherweise stärker einschränken als CPDG. Die leistungsanreizsenkenden Wirkungen der - ansonsten wohlfahrtsoptimalen - Lindahl-Preise beim CPDG werden daher zumindest teilweise überkompensiert, weil staatliche Maßnahmen mit ähnlichen leistungsanreizsenkenden Wirkungen unnötig werden. 5.8.2 CPDG als zulässiges Verfahren zur Aufgabe individueller Freiheit Der beim CPDG vorgesehene Autonomieverzicht des Individuums muss in Bezug auf zwei aufeinanderfolgende Phasen diskutiert werden: In der ersten, unproblematischeren Phase nimmt man vollkommen freiwillig an dem Verfahren teil, und man ist unabhängig in der Wahl der eigenen Gruppe. An der Zulässigkeit des Autonomieverzichts gibt es daher keinen Zweifel, da kein Druck ausgeübt wird. In der zweiten Phase stellt sich der Autonomieverzicht jedoch in einem anderen Licht dar. Bei einer steigenden relativen Bedeutung der Umsätze, die Anbieter im CPDG-Verfahren bei einer weitgehenden Zurückdrängung des konventionellen Marktes erzielen, kann es für sie nämlich lukrativ sein, die Preise am konventionellen Markt zu erhöhen oder dort überhaupt nicht mehr anzubieten. Dann wird tatsächlich nur über das bloße Vorhandensein des CPDG-Verfahrens zusätzlicher Druck auf die Nachfrager ausgeübt, mit einem Eintritt in eine solche Gruppe ihre Autonomie beim Erwerb von Medieninhalten aufzugeben. Von einer konsensuellen Zustimmung aller Teilnehmer zum Autonomieverzicht kann also keine Rede mehr sein. Damit wird eine ethisch-moralische Rechtfertigung erforderlich. Ein Versuch, den Zwang zum Autonomieverzicht in der zweiten Phase zu rechtfertigen, könnte in dem Argument bestehen, dass das Ergebnis des CPDG der einen oder anderen Gerechtigkeitsdefinition entspricht und dass daher auch das Mittel gerecht ist. Gerechtigkeitsdefinitionen, denen das Marktergebnis durch CPDG möglicherweise besser als alle anderen Vertriebsarten von Medieninhalten entspricht, sind: (1) Leistungsgerechtigkeit: Die Anbieter von Inhalten werden ihrem tatsächlichen Wohlfahrtsbeitrag entsprechend kompensiert, was zugleich wohlfahrtsoptimale Produktionsanreize setzt (vgl. Kapitel 5.7.1). (2) Verteilungsgerechtigkeit im Sinne der Grenznutzentheoretiker der Alten Wohlfahrtsökonomie: Es wird angestrebt, jedem Nachfrager jeden produzierten Inhalt zur Nutzung bereitzustellen (vgl. Kapitel 5.8.1). (3) ,,Minimax"-Regel, von der Rawls (1971) behauptet, dass sie jeder Mensch wählen würde, wenn er unter Unkenntnis seiner persönlichen >>246<< Lebensumstände (Schleier der Unwissenheit - ,,veil of ignorance") allgemeingültige Regeln des Zusammenlebens festlegen müsste. Nach der Minimax-Regel sind Entscheidungen dann gerecht, wenn sie die Wohlfahrt des am stärksten benachteiligten Individuums maximieren. CPDG entspricht dem, weil es Medieninhalte vollkommen gleichmäßig verteilt und bei der Finanzierung die kaufkraftschwächsten Teilnehmer besonders begünstigt. Diese Gerechtigkeitsdefinitionen haben jedoch den gravierenden Nachteil, dass sie einem Menschen, der sich durch CPDG benachteiligt fühlt, einen Gerechtigkeitsbeweis für CPDG schuldig bleiben. Schon die Minimax-Regel von Rawls ist schnell ihrer Beweiskraft beraubt, wenn nur ein einziger Mensch standfest behauptet, dass er unter Unkenntnis seiner persönlichen Lebensumstände auf keinen Fall dieser Regel, sondern einer anderen zugestimmt hätte. Dies beweist allein schon das Vorhandensein vieler anderer Gerechtigkeitsdefinitionen, die sich alle auf Rawls Unwissenheitsschleier berufen. (Vgl. Tideman 1996) Die utilitaristisch geprägten Gerechtigkeitsdefinitionen der Leistungsgerechtigkeit und der Grenznutzenmaximierung hingegen widersprechen der Kantschen Gerechtigkeitsforderung, dass die Menschen niemals nur als Mittel, sondern immer auch zugleich als Zweck betrachtet werden sollen. Tideman (1996: 6f) betrachtet daher die utilitaristischen Positionen entsprechend kritisch: ,,A person is then simply a device for generating utility; whether the utility is for herself or for someone else is irrelevant. [. . .] But justice is not concerned with largess. It is concerned with what is due to persons just from being persons, without having to prove their worthiness any further." Erwartete Nutzenmaximierung oder Vermutungen über die Wahl allgemeinverbindlicher Regeln hinter einem imaginären Schleier der Unwissenheit sind also unzureichend, um mögliche Vorwürfe der Ungerechtigkeit an CPDG zu entkräften. Erst der Liberalismus bietet eine Weltanschauung, die das Individuum als solches zum Maßstab einer Rechtfertigung von Machtausübung und Nötigung zum Autonomieverzicht macht. (Vgl. Tideman 1996: 7) So fordert Bruce Ackerman (1980: 6) vom Liberalismus, sich nicht auf Vorstellungen des Naturrechts oder imaginäre Verträge zwischen Individuen zu berufen, sondern sich statt dessen als ,,a way of talking about power, a form of political culture" zu verstehen. Gemäß dem Liberalismus im Sinne Ackermans muss eine Rechtfertigung von Machtausübung in der Form direkter Antworten an alle Menschen erfolgen, die das Recht auf Machtausübung in Frage stellen. Ackerman wendet sich dabei ausdrücklich gegen die Versuchung, die Fragen nach Machtrechtfertigung nur an den Staat zu richten. Auch nicht staatliche Formen der Machtausübung haben sich den Fragen nach der Übereinstimmung mit Grundsätzen der liberalen Weltanschauung zu stellen. Von den Antworten auf die Infragestellung von Macht fordert Ackerman (1980: 4-11) die Erfüllung folgender drei Prinzipien: >>247<< ,,Rationality. Whenever anybody questions the legitimacy of another's power, the power holder must respond not by suppressing the questioner but by giving a reason that explains why he is more entitled to the resource than the questioner is. [. . .] Consistency. The reason advanced by a power wielder on one occasion must not be inconsistent with the reasons he advances to justify his other claims to power. [. . .] Neutrality. No reason is a good
reason if it requires the power holder to assert: Ackerman (1980) diskutiert in seinen Beispielen eines Machtgesprächs Situationen, in denen es um die Verteilung von Individualgütern geht. Beim CPDG geht es dagegen um die unterschiedliche Behandlung bei der Verteilung von Nutzungsrechten an öffentlichen Gütern sowie um die Forderung von Beiträgen zu deren Finanzierung. Trotzdem soll im Folgenden versucht werden, im Rahmen eines Machtgesprächs unter Beachtung der drei Ackermanschen Prinzipien CPDG zu rechtfertigen. Die kritischen Fragen, denen sich CPDG zu stellen hat, fordern Erklärungen für die Fälle, dass (1) ein Nachfrager manchmal viel mehr
für einen Inhalt zahlen muss als er zu zahlen bereit ist,
Die folgenden vier Machtgespräche entsprechen der von Ackerman (1980) in Beispielen vorgeschlagenen Struktur: Fall (1) wird in einem Machtgespräch zwischen dem Nachfrager und dem Anbieter diskutiert: Nachfrager: Warum muss ich Dein
Angebot kaufen, obwohl mein Finanzierungsbeitrag doch viel höher
ist als ich freiwillig bereit bin zu zahlen? Hier kann die Diskussion von Fall (2) direkt anschließen: Nachfrager: Ich erkenne wohl,
dass ich im Durchschnitt mit meinen Zahlungen >>248<<
unterhalb der Zahlungsbereitschaft bleibe. Ich weise aber eine so
große Kaufkraft auf, dass ich im Vergleich zum konventionellen
Markt beim CPDG viel mehr für Inhalte bezahle. Den konventionellen
Markt gibt es aber schon fast gar nicht mehr. Nur noch wenige Angebote
werden dort zu sehr hohen Preisen vertrieben. Auch Du zwingst mich
mit Deiner Preispolitik am konventionellen Markt, am CPDG teilzunehmen. Fall (3) wird zwischen dem Anbieter und Nachfrager A diskutiert, da sich dieser benachteiligt fühlt: Nachfrager A: Anbieter, warum
zwingst Du mich, viel mehr für Dein Angebot zu zahlen als Nachfrager
B? Auch Fall (4) wird zwischen dem Anbieter und Nachfrager A diskutiert: Nachfrager A: Warum
kann Nachfrager B Dein Angebot nutzen, obwohl seine Zahlungsbereitschaft
viel kleiner ist als meine, ich aber von der Nutzung ausgeschlossen
bleiben soll? Nach diesen vier Machtgesprächen dürfte es keine Einwände mehr dagegen geben, dass CPDG gerecht im Sinne des Liberalismus ist. Auf keinen der beim CPDG Beteiligten wird Macht auf eine Art ausgeübt, die nicht unter Beachtung der Ackermanschen Prinzipien gerechtfertigt werden kann. Versucht man hingegen, den konventionellen Markt für Medieninhalte zu rechtfertigen, so scheitert man schon an der Ackermanschen Neutralitätsforderung: Niemand wird um Zustimmung dafür gebeten, dass die Erlöse im vorherrschenden Bertrand-Wettbewerb über den sozialen Wohlfahrtsbeitrag hinausgehen sollen. Auch wird das Prinzip der consistency verletzt, da von den Anbietern privater Güter (mit hohen Produktionsgrenzkosten) sehr wohl erwartet wird, am Markt ausschließlich Erlöse in Höhe ihres Wohlfahrtsbeitrags zu erzielen (vgl. Kapitel 4.2.2.1). |
Ökonomie
der Medieninhalte. Startseite - Article - Dissertation - Suche - Kontakt & Bestellung - Über den Autor |