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Ökonomie der Medieninhalte.
Allokative Effizienz und Soziale Chancengleichheit in den Neuen Medien
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4.2 Ein Medieninhalt als öffentliches Gut

Aus der Nichtrivalität im Konsum eines Medieninhalts ergeben sich für die mikroökonomische Analyse derartig weitreichende Konsequenzen, dass es sinnvoll ist, Qualität und Vielfalt der angebotenen Medieninhalte erst an späterer Stelle theoriegeleitet zu untersuchen. Dies wird ab Kapitel 4.4 geschehen. Zunächst beginnt daher die mikroökonomische Betrachtung von Medieninhalten unter der Annahme, dass es sich bei ihnen um ein homogenes Gut mit einer unveränderlichen Qualität handelt. Diese Annahme war auch lange Zeit die Grundlage für Untersuchungen zur Ökonomie des Fernsehens, bei denen die Anzahl der Sendeminuten als anschauliches Beispiel eines homogenen Medieninhalts diente.80 Auch für die unmittelbar folgenden Ausführungen kann die Imagination dieses Beispiels zur Verdeutlichung genutzt werden. >>140<<


4.2.1 Wirtschaftswissenschaftliche Einordnung eines einzelnen Medieninhalts

In den Wirtschaftswissenschaften ist es üblich, zwischen öffentlichen und privaten Gütern zu unterscheiden. Synonym wird auch das Begriffspaar Kollektivgüter - Individualgüter verwendet. Beide Güterklassen stellen Idealformen dar, die durch extreme Ausprägungen der Eigenschaften Konsumrivalität und Exkludierbarkeit gekennzeichnet sind.

Bei öffentlichen Gütern ist der Rivalitätsgrad des Konsums gleich null. Es liegt ein Gut vor, dessen Konsum durch Dritte die eigenen Nutzungsmöglichkeiten nicht einschränkt. Klassisches Beispiel des Konsums eines nicht rivalen Gutes ist ein Rundfunkprogramm, aber grundsätzlich gehören alle Medieninhalte dazu. Private Güter wie Nahrungsmittel haben dagegen einen maximalen Rivalitätsgrad (in Höhe von ,,eins"), da sie nur einmal konsumiert werden können. Zwischen diesen beiden Extremen finden sich Güter, deren Konsum einer Staugefährdung unterliegt: Es kann sein, dass bei einem anfänglich nicht rivalen Konsum Nutzeneinbußen für alle Konsumenten auftreten, wenn weitere Nutzer hinzukommen. So bieten Straßen und Freibäder bei Überfüllung einen viel geringeren Nutzen als bei einer mäßigen Auslastung. (Vgl. Grossekettler 1985)

Mit Exkludierbarkeit bezeichnet man die Möglichkeit, potentiellen Nutzern die Nutzung des Gutes verweigern zu können, wenn sie den geforderten Preis nicht zahlen. Exkludierbarkeit ist die einzige Bedingung für die private Bereitstellung von Gütern. Wenn sie fehlt, ist der Anreiz zum Trittbrettfahren (,,free riding") groß, da man kostenlos die Güter nutzen kann, zu deren Kosten lediglich Dritte beigetragen haben. Für den einzelnen lohnt es sich nur selten, nicht exkludierbare Güter herzustellen. Da alle anderen Menschen ähnlich handeln, wird schließlich eine suboptimale Menge des Gutes bereitgestellt oder die Bereitstellung erfolgt gar nicht.81 Daher werden nicht exkludierbare Güter in der Regel durch den Staat bereitgestellt (zum Beispiel nationale Verteidigung; öffentliche Sicherheit); zumindest unterliegen sie einer Bereitstellung durch staatlich erzwungene Gemeinschaften, wie sie unter anderem auch Deichgenossenschaften darstellen. Bei nicht exkludierba- >>141<< ren, nicht rivalen Gütern spricht man daher auch von ,,Zwangskollektivgütern" (Grossekettler 1985: 213).

Liegt Exkludierbarkeit vor, so ist sie dem Gut meist nicht per se eigen. Vielmehr hängt sie ab von der Zuweisung von Eigentumsrechten und dem Exklusionsaufwand, der zum Schutz der Eigentumsrechte betrieben wird (Vgl. Adams 1993: 110). Bei nicht rivalen Gütern ist der Produzent auf sich allein gestellt, um unbefugte Nutzungen zu verhindern. Kein Konsument hat ein unmittelbares Interesse, Dritte an der Nutzung von öffentlichen Gütern zu hindern. Auch wenn ein Konsument der einzige ist, der für das Gut bezahlt hat, ist es ihm gleichgültig, wenn andere das Gut mitnutzen. Sein Nutzen wird dadurch schließlich nicht eingeschränkt - ganz anders als bei einem rivalen Gut wie Brot. Für ein Fernsehprogramm, das klassische Beispiel für ein nicht rivales Gut, gibt es technische Möglichkeiten, durch Verschlüsselung oder Verbreitung über Kabelnetze eine Exklusion zu erreichen. Man kann dem Problem aber auch ausweichen, indem man das öffentliche Gut (Fernsehen) umwandelt in ein privates Gut (Publikumskontakte als Produkt für Werbetreibende) und dieses dann vertreibt.

Die beiden Eigenschaften Konsumrivalität und Exkludierbarkeit können bei einem Gut unabhängig voneinander sowohl Extremwerte als auch gemäßigte Werte aufweisen. Ein Begriffspaar wie Kollektivgüter - Individualgüter ist also unzureichend, um die vielen Zwischenformen einzuordnen.82 Adams (1993) erweitert daher das übliche Begriffsschema und unterscheidet folgende sechs Güterarten:

Tabelle 4-1:
Güterordnung nach Adams (1993: 111)

 

Exklusion möglich

Exklusion unmöglich

Rival
im Konsum

private Güter

Allmendegüter

Staugefährdet

Klubgüter

Marktunfähige unreine öffentliche Güter

Nicht rival
im Konsum

Marktfähige
öffentliche Güter

Marktunfähige
öffentliche Güter

Quelle: Adams (1993: 111), eigene Übersetzung.

Medieninhalte fallen innerhalb des Güterschemas nach Adams (1993) in die Kategorie der marktfähigen öffentlichen Güter. Als Rivalitätsgrad ist, wie in Kapitel 2.2.6 dargestellt, null anzunehmen - Medieninhalte sind nicht rival im Konsum. Der Grad der Exkludierbarkeit von Medieninhalten ist >>142<< weniger eindeutig zu bestimmen, da er von der Wirksamkeit des Urheberschutzes abhängig ist.83 Da die Eigentumsrechte jedoch prinzipiell klar geregelt sind und sich auch in Zukunft innerhalb der Neuen Medien durchsetzen lassen werden (vgl. Kapitel 3.1.1.2), ist die Marktfähigkeit von Medienhalten gewährleistet.


4.2.2 Effiziente und individuell gerechte Bereitstellung öffentlicher Güter im Lindahl-Gleichgewicht

4.2.2.1 Der Markt für private Güter im wohlfahrtsoptimalen Gleichgewicht

Im Markt für private Güter herrschen recht einfache Regeln eines wohlfahrtsoptimalen Gleichgewichts, da die hier gehandelten Güter ansteigende Grenzkosten der Produktion haben.84 Ansteigende Produktionsgrenzkosten liegen vor, wenn die zuletzt produzierte Einheit des Gutes um so teurer ist, je mehr Einheiten schon produziert worden sind. Ein gewinnmaximierender Produzent akzeptiert als sogenannter Preisnehmer den Marktpreis und produziert so viel, dass die - in der Regel mit der Produktionsmenge steigenden - Produktionsgrenzkosten genau dem Marktpreis entsprechen. Schon die zusätzlichen Kosten der Produktion der nächsten Einheit würden nicht mehr durch die am Markt zu erzielenden Preise gedeckt werden. ,,In such industries the conventional wisdom `set prices at marginal cost' is both economically viable and the likely outcome of competitive forces." (Varian 1996) Mit den positiven Deckungsbeiträgen aus dem Verkauf der intramarginalen Einheiten kann der Produzent seine fixen Kosten abdecken. Macht er danach noch einen Gewinn, so ist der Markt möglicherweise attraktiv für Neueinsteiger, die mit einer Ausdehnung der Produktion den Marktpreis senken können.

Auf der Nachfragerseite gewährleistet der Preis, dass nur diejenigen das Gut erwerben, die auch ein ausreichendes Nutzungsinteresse daran haben. Gleichzeitig sorgen die Nachfrager dafür, dass die volkswirtschaftlichen Ressourcen in die Produktion solcher Güter fließen, die den höchsten Nutzen erbringen. Der Markt fällt so wohlfahrtsoptimale Entscheidungen, ohne dass es einer lenkenden Instanz bedarf. Das Eigeninteresse der Individuen im Wettbewerb ist die ,,unsichtbare Hand", die die Produktions- und Konsumentscheidungen aufeinander abstimmt. Ist der Markt im Gleichgewicht, so herrscht ein Pareto-Optimum, da durch eine Änderung der freiwillig getroffe- >>143<< nen Entscheidungen niemand besser gestellt werden könnte, ohne zugleich jemand anderes schlechter zu stellen. Wäre dieses möglich, so wäre schon durch Verhandeln eine einvernehmliche Verbesserung der Situation erzielt worden.

Der Preismechanismus des Marktes für private Güter lässt sich graphisch darstellen, indem die preisabhängigen Nachfragekurven D zweier Nachfrager a, b nach den Mengen Q des privaten Gutes horizontal addiert werden. Über den Schnittpunkt mit der Angebotskurve A lässt sich dann der Gleichgewichtspreis P* mit der dazugehörigen Gleichgewichtsmenge Q* ablesen. Q* teilt sich sodann auf die Nachfrager a und b auf, welche zum Preis P* jeweils Qa und Qb erwerben. Der soziale Überschuss besteht in der Summe der Konsumentenrente (die Fläche zwischen der Preislinie und der aggregierten Nachfragekurve Na+b) und der Produzentenrente (die Fläche zwischen der Preislinie und der aggregierten Grenzkostenkurve A der Anbieter). (Vgl. Varian 1993)

Abbildung 4-1:
Preisbildung am Markt für private Güter


4.2.2.2 Probleme der Übertragbarkeit auf einen Markt für marktfähige öffentliche Güter

Die Organisation eines Marktes für öffentliche Güter nach den Regeln des Marktes für private Güter ist nicht möglich. Schon die Grundregel, die Preise nach den Grenzkosten der Produktion auszurichten, ist nicht anwendbar, da sich bereits die Frage, wie hoch die Grenzkosten der Produktion sind, nicht eindeutig beantworten lässt. Betragen sie zum Beispiel für eine Minute Fernsehserie die gesamten Produktionskosten? Welcher Fan von ,,Gute Zeiten, schlechte Zeiten" oder einer anderen Serie wäre bereit, für jede Minute rund >>144<< 5 000 DM (Hüetlin und Schnibben 1995: 108) zu bezahlen? Oder betragen die Grenzkosten der Produktion nicht eher null DM, da es sich ja um ein nicht rivales Gut handelt und die Versorgung eines weiteren Konsumenten auch keine Kosten verursacht? Leider können zu diesem Preis überhaupt keine Einnahmen zur Deckung der Produktionskosten erzielt werden. ,,[T]he standard economic recommendation of `price at marginal cost' is not economically viable." (Varian 1996)

Gegen einen Preis von null, der an sich ja pareto-optimal ist, da durch ihn kein potentieller Nutzer eines öffentliches Gutes ausgeschlossen wird, spricht aber auch noch ein anderer Grund. Bei einem solchen Preis verzichtet man auf die Informationen, die nur der Markt über das Preissystem erzeugen kann und welche notwendig sind, um die eingesetzten Ressourcen effizient einzusetzen. Gibt es keinen Preis, so besteht für die Konsumenten keine Möglichkeit, ihre Präferenzen zu artikulieren; und eine ineffiziente Lenkung des Ressourceneinsatzes ist unvermeidlich (vgl. Minasian 1964). Baumol und Ordover (1977) meinen daher, dass der Preis öffentlicher Güter nicht gleich null sein sollte, da ihr ,,Paretopreis Ramseys Theorem der optimalen Preissetzung unter einer Budgetrestriktion zu genügen [hat]. Ein Preis von null für ein öffentliches Gut kann weiter entfernt vom Optimum sein als derjenige eines gewinnmaximierenden Monopolisten oder als der kostendeckende Preis einer nicht gewinnorientierten Unternehmung." (Baumol und Ordover 1977: 20; vgl. Ramsey 1927; Robinson 1933)

Setzt man aber einen positiven, kostendeckenden Preis, den jeder Konsument des öffentlichen Gutes zu zahlen hat, so schließt man jene Konsumenten aus, die eine Zahlungsbereitschaft unterhalb des geforderten Preises haben. Dieser Ausschluss ist verschwenderisch und widerspricht dem Pareto-Kriterium, da auch diese Konsumenten befriedigt werden könnten, ohne andere schlechter zu stellen - selbst wenn sie einen Preis von null zahlen würden.


4.2.2.3 Kuppelproduktion als Zwitter zwischen privaten und öffentlichen Gütern

An dieser Stelle liefert das Beispiel der Kuppelproduktion hilfreiche Hinweise, wie man das Preisdilemma öffentlicher Güter überwinden kann. Von Kuppelproduktion spricht man, wenn in einem Produktionsprozess zwei verschiedene Güter in einem festen Verhältnis anfallen. Das wohl beliebteste Beispiel in der Literatur ist die Produktion von Rindern, welche Fleisch und Häute liefern (vgl. Demsetz 1970; Lee 1977). Wichtig ist an der Kuppelproduktion, dass die Endprodukte private Güter sind und man sich auf den Preismechanismus des Marktes verlassen kann. Schließlich gibt es mehrere Anbieter von Rindern und eine Vielzahl von Nachfragern nach Fleisch und Häuten. Analog zu Abbildung 4-1 lässt sich also die aggregierte Nachfrage nach Häuten NH und die nach >>145<< Fleisch NF durch horizontale Addition der individuellen Nachfragekurven ermitteln. In Abbildung 4-2 sind in den beiden unteren Abschnitten nur die Ergebnisse dieses Verfahrens dargestellt.

Die Ermittlung des Gleichgewichtspreises ist damit allein aber noch nicht möglich, denn die Anbieter können auf die Nachfrage nicht mit einem Angebot an Häuten oder Fleisch reagieren, sondern nur mit einem Angebot an Rindern. Im Unterschied zur Bestimmung der aggregierten Nachfrage mehrerer Individuen nach dem gleichen Gut wird die Nachfrage nach Rindern nicht durch horizontale, sondern durch vertikale Addition der Nachfragekurven für Häute und Fleisch ermittelt (Grossekettler 1995: 498). Im Schnittpunkt der aggregierten Nachfragekurve und der Angebotskurve von Rindern wird (1) die Angebotsmenge (die Anzahl der Haut- und Fleischeinheiten) und (2) der Angebotspreis (für eine Einheit ,,Rind") bestimmt. Über die Festlegung der Angebotsmenge bestimmen sich dann die Gleichgewichtspreise für Häute und Fleisch, so dass die Entscheidungen der Nachfrager im Gleichgewicht mit dem Angebot sind. Dieser Preismechanismus hat die Eigenschaft, dass sich zum Beispiel durch eine Ausweitung der Nachfrage nach Fleisch (Verschiebung von NF nach rechts oben) eine Ausweitung des Angebots an Rindern ergibt, gleichzeitig aber (bei unveränderter NH) der Preis für Häute sinkt. >>146<<

Abbildung 4-2: Preisbildung in einem Markt für Kuppelprodukte


>>147<<

Buchanan (1968: 34f) zeigt in ,,The Demand and Supply of Public Goods", dass für die Preisbildung in einer fiktiven ,,Robinsoninselökonomie" mit nur zwei Nachfragern, von denen der eine (,,Caio") nur Häute und der andere (,,Tizio") nur Fleisch nachfragt, ,,the jointly-supplied unit is, in effect, a purely public good because of the technology of production." (Buchanan 1968: 35) Angenommen, Tizio beschäftigt sich ausschließlich mit der Aufzucht von Rindern und Caio mit der Ernte von - beiderseits begehrten - Kokosnüssen. Dann ist es für Caio vorteilhaft, Tizio mit Kokosnüssen dafür zu bezahlen, dass dieser mehr Rinder aufzieht, als wenn Tizio nur für seinen eigenen Bedarf (nach Fleisch) produzieren würde. Schließlich kann Caio schon mit wenigen Kokosnüssen Tizio dazu bewegen, mehr Rinder aufzuziehen und damit auch mehr Häute zu produzieren, da die zusätzlichen Mühen der Rinderzucht nicht nur mit den Nüssen, sondern auch mit mehr Fleisch entlohnt werden. Tizio und Caio werden dabei durch eigennütziges Verhandeln automatisch auf das in der Zeichnung dargestellte Gleichgewicht kommen.

Gleiches gilt für den Fall, dass sich Tizio statt um die Aufzucht von Rindern um die Mückenbekämpfung kümmert und dafür von Caio mit Kokosnüssen bezahlt wird. Tizio wird die Produktion dieses eindeutig öffentlichen Gutes so lange ausdehnen, bis sein Grenznutzen aus dem, was ihm Caio bezahlt, und aus der weiter verringerten Belästigung durch Mücken gerade noch den zunehmenden Mühen (Grenzkosten) weiterer Mückenbekämpfung entspricht. Daher kommen Caio und Tizio sowohl bei der Kuppelproduktion als auch bei der Produktion eines öffentlichen Gutes über die gleichen Verhandlungsprozesse zu einem pareto-optimalen Ergebnis.

Eine vollständige Gleichsetzung der Kuppelproduktion mit der Produktion öffentlicher Güter, die sich auch bei Arnold (1992: 92f), Bowen (1948: 176-179), und Lindahl (1958: 221) findet, ist jedoch problematisch. Ellickson (1978) und Head (1977) weisen darauf hin, dass eine Marktausdehnung (mehr Nachfrager) bei der Kuppelproduktion zu anderen Anpassungsprozessen führt als bei öffentlichen Gütern. Auf einem Markt für ein Kuppelprodukt treten die Nachfrager zuerst in Konkurrenz zueinander und bilden wie bei privaten Gütern durch horizontale Addition der individuellen Nachfragen die Nachfragekurve des Marktes für ein Kuppelprodukt. Treten in dem Beispiel zusätzliche Nachfrager nach Fleisch und Häuten auf, so verschieben sich beide Nachfragekurven nach rechts oben. Werden diese Nachfragekurven durch horizontale Addition zur Nachfrage nach Rindern, so liegt auch diese Nachfragekurve weiter rechts oben - Häute und Fleisch werden teurer, und es werden mehr Rinder aufgezogen.

Auf einem Markt für ein öffentliches Gut würde so etwas nicht passieren. Hier ist es nicht nötig, bei einer Zunahme der Nachfragerzahl die Produktion auszudehnen, um das gleiche Versorgungsniveau zu halten - die Produktionsmenge ist nicht rival im Konsum. Bei mehr Nachfragern wird >>148<< allerdings der Beitrag kleiner, den jeder zur Produktion leisten muss - die von den einzelnen zu zahlenden Preise sinken, und die Nachfrager werden eine Ausdehnung der Produktion des öffentlichen Gutes wünschen. Als Resultat einer Zunahme der Nachfrager ergeben sich dann für die Nachfrager also keine höheren Preise und ein nach unten angepasstes Konsumniveau, sondern niedrigere Preise und ein höheres Konsumniveau.


4.2.2.4 Individuell gerechte und wohlfahrtsoptimale Finanzierung öffentlicher Güter mit Lindahl-Preisen

Sowohl der Markt für Kuppelprodukte als auch der für private Güter befindet sich nur dann im wohlfahrtsoptimalen Gleichgewicht, wenn sich Angebot und Nachfrage für jeden Marktteilnehmer bei den geltenden Preisen im Einklang befinden. In diesem Gleichgewicht hat niemand Grund, mehr oder weniger Güter produzieren oder erwerben zu wollen. Die Anbieter privater Güter dehnen ihre Produktion so weit aus, dass die erzielten Preise gerade noch den zusätzlichen Kosten aus der Produktion der letzten Einheit entsprechen, das heißt, die Preise entsprechen den Grenzkosten der Produktion. Gleichzeitig dehnen die Nachfrager ihren Konsum soweit aus, dass ihr Grenznutzen der zuletzt erworbenen Einheit dem zu zahlenden Preis entspricht.

Das Gleichgewicht auf einem Markt für Kuppelprodukte wird jedoch anders erreicht. Hier erfolgt die Versorgung des Marktes für Häute mit der gleichen Menge wie die des Marktes für Fleisch. Wird also auf eine Nachfrageausdehnung nach Fleisch mit einer Ausweitung des Angebots von Rindern reagiert, so werden gleichzeitig auch mehr Häute angeboten. Während die Nachfrager nach Häuten selbst zwar immer noch wie die Mengenanpasser des Marktes für private Güter reagieren können, kann dies der Markt für Häute nicht. Er ist um so mehr ein Preisanpasser, je geringer die auf ihm erlösten Beiträge zur Finanzierung der Rinderzucht sind, da bei der hauptsächlich von anderen Märkten bestimmten Angebotsmenge nur über veränderte Preise ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage erzielt werden kann. Nur wenn der Preis für Häute sinkt, kann die durch die Ausdehnung der Fleischnachfrage erfolgte größere Angebotsmenge an Häuten genug kaufwillige Nachfrager finden.

Genau diese Besonderheit macht auch den Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Gütern aus. Bei öffentlichen Gütern ist lediglich nicht einzelnen Teilmärkten für unterschiedliche Kuppelprodukte die Angebotsmenge exogen vorgegeben, sondern jedem einzelnen Nachfrager des jeweils selben Gutes. Haben diese Nachfrager unterschiedliche marginale Zahlungsbereitschaften, so können die von ihnen gewählten Güterbündel nur dann mit dem Angebot ins Gleichgewicht gebracht werden, wenn sie unterschiedliche Preise für die Nutzung derselben Güter bezahlen. Diese Preise werden nach dem schwedischen Wirtschaftswissenschaftler Erik Lindahl als Lindahl-Preise >>149<< bezeichnet. 1919 zeigte Lindahl auf, dass nur unterschiedliche Preise unterschiedliche marginale Zahlungsbereitschaften mit einem gegebenen Angebot öffentlicher Güter in Einklang bringen können. ,,One party's demand for certain collective goods at a certain price appears from the other party's point of view as a supply of these goods at a price corresponding to the remaining part of total cost: for collective activity can only be undertaken if the sum of the prices paid is just sufficient to cover the cost." (Lindahl 1958 (1919): 168) Zugleich gelangt die Gesamtnachfrage nach dem öffentlichen Gut (ausgedrückt in der Summe der marginalen Zahlungsbereitschaften) mit der Angebotsfunktion des öffentlichen Gutes in das pareto-optimales Lindahl-Gleichgewicht (Nachweis auch bei Arnold 1992: 90f; Roberts 1974: 24).

Aus dem Lindahl-Gleichgewicht lässt sich erschließen, dass die jedem einzelnen zur Nutzung bereitstehende Menge des öffentlichen Gutes größer wird, wenn der Kreis der Nachfrager wächst. Die Lindahl-Preise sind dabei individuell differenzierte, aber für jede Nutzungseinheit einheitliche Preise, die allerdings nicht für den Konsum eines öffentlichen Gutes verstanden werden, sondern als Beteiligung an den Kosten der Bereitstellung. Dieses Gleichgewicht lässt sich auf einen Markt für homogene Medieninhalte übertragen, in welchem jeder Nachfrager zu den Produktionskosten einen Beitrag pro Einheit leistet, der genau dem zusätzlich erzielten Nutzen entspricht, welcher allein auf die Ausweitung der Nutzungsmenge um genau eine weitere Einheit zurückzuführen ist. Dabei ist das Lindahl-Gleichgewicht mit Preisdifferenzierung nicht auf eine Monopolstellung auf der Anbieterseite angewiesen. Buchanan (1967) und Demsetz (1973) haben in Beiträgen zur Fernsehökonomie dargestellt, dass dieses Gleichgewicht ebenso gut bei einer Konkurrenz mehrerer Anbieter stabil ist.

Eine solche, scheinbar willkürliche Preisdifferenzierung erscheint zunächst als ungerecht. Wenn alle Menschen gleich sind, warum sollen dann die einen mehr als andere für das gleiche Angebot bezahlen? Tatsächlich aber ist ,,Preisdifferenzierung" bei öffentlichen Gütern durchaus üblich, schließlich werden die Staatsaufgaben durch Steuern finanziert, welche entsprechend der individuellen Leistungsfähigkeit erhoben werden (sollen). Entsprechend macht Lindahl in seiner Arbeit deutlich, dass ,,the actually existing graduation of taxation is in a sense the result of the same economic principles which cause the same goods to have the same prices on the free market." (Lindahl 1958 (1919): 173) Anhand der folgenden zwei Abbildungen kann man jedoch auch leicht erkennen, dass ein Lindahl-Gleichgewicht auch für solche Nachfrager vorteilhaft sein kann, deren Lindahl-Preis höher ist als ein alternativer Einheitspreis für das öffentliche Gut.

Wird das öffentliche Gut zu Einheitspreisen vertrieben, so zeigt Abbildung 4-3, dass Nachfrager A der einzige ist, der zum Preis PE seine Nachfrage befriedigen kann; zugleich kann er dann jede produzierte Einheit des öffentlichen Gutes konsumieren. Nachfrager B hingegen ist vollständig >>150<< vom Konsum des öffentlichen Gutes ausgeschlossen, obwohl er einen positiven Nutzen realisieren könnte, ohne Dritte schlechter zu stellen. Auch C, D und E ergeht es nicht viel besser. Zwar können sie jede produzierte Einheit nutzen, würden aber für den verlangten Preis gerne viel mehr Einheiten des Gutes erwerben. Dies ist aber nicht möglich, da zu Einheitspreisen QE schon die maximal mögliche Menge ist, bei welcher die Produktionskosten gedeckt werden können.85 Der erlösmaximale, kostendeckende Preis PE ist dabei nicht wie am Markt für private Güter durch horizontale Addition der Nachfragekurven bestimmbar, sondern muss durch horizontale Addition der Erlöspotentiale zu verschiedenen Einheitspreisen ermittelt werden. >>151<<

Abbildung 4-3:
Marktergebnis bei einem öffentlichen Gut zu Einheitspreisen

Lässt man jedoch Preisdifferenzierung zu und führt das System in sein Lindahl-Gleichgewicht (Abbildung 4-4), so gilt, dass (1) die Produktionsmenge ansteigt, (2) jeder Nachfrager die gesamte Produktionsmenge nutzen kann, (3) jeder Nachfrager seine Konsumwünsche vollständig erfüllen kann und (4) die realisierten Konsumentenrenten in der Regel für jeden Nachfrager >>152<< ansteigen. Letzteres gilt sogar für Nachfrager E des Beispiels, der im Lindahl-Gleichgewicht einen höheren Preis je Einheit zu zahlen hat als im Markt mit Einheitspreisen in Abbildung 4-3. >>153<<

Abbildung 4-4:
Marktergebnis bei einem öffentlichen Gut zu Lindahl-Preisen


>>154<<

Das Lindahl-Gleichgewicht ist nicht nur ein Effizienzkriterium, sondern auch ein Gerechtigkeitskriterium. Samuelson (1954) hat in seiner Theorie öffentlicher Güter dargestellt, dass jedes Gütergleichgewicht pareto-optimal ist, bei dem die Summe der marginalen Zahlungsbereitschaften den Grenzkosten der Produktion entspricht. Wohlfahrtsoptimierungen im Sinne Paretos können durch eine Änderung der Art der Finanzierung nicht erreicht werden, da eine Veränderung des Finanzierungsmodus' notwendigerweise mindestens eine Person schlechterstellen würde. Die Zuweisung von Lindahl-Preisen ist die einzige Methode zur Finanzierung eines Samuelson-Gleichgewichts, bei der der Beitrag jedes einzelnen Nachfragers genau seinem Grenznutzen entspricht und niemand zu höheren Zahlungen gezwungen werden muss. Daher sind Lindahl-Preise die einzigen Beiträge, mit denen eine wohlfahrtsoptimale Menge öffentlicher Güter finanzierbar ist, ohne die Zahlungsbereitschaft einzelner Nachfrager zu überschreiten.


4.2.2.5 Probleme des Lindahl-Gleichgewichts

Die Kritik am Lindahl-Gleichgewicht konzentriert sich im Wesentlichen darauf, dass es kaum möglich sein dürfte, den Nachfragern Lindahl-Preise zuzuweisen, da man den tatsächlichen Verlauf ihrer Nachfragekurven nicht kennen kann und die Nachfrager selbst ein Interesse haben, ihre wahre Zahlungsbereitschaft zu untertreiben. Einvernehmliche und wohlfahrtsoptimale Verhandlungslösungen sind nämlich um so weniger wahrscheinlich, je größer die Zahl der betroffenen Nachfrager ist (vgl. Lindahl 1958: 214f; Samuelson 1954: 388f)sowie die Ausführungen zum Trittbrettfahrerproblem in Kapitel 4.2.1).

Ein weiteres Problem taucht auf, wenn man Exklusion von nicht zahlungsbereiten Nachfragern nutzt, um eine möglichst ehrliche Angabe von Zahlungsbereitschaften zu erzwingen. Ausgeschlossene Nachfrager mit tatsächlich hoher Zahlungsbereitschaft können Nutzungsrechte von anderen Nachfragern abkaufen (Arbitrage), welche nicht ausgeschlossen sind und aufgrund ihrer niedrigen Zahlungsbereitschaft nur sehr geringe Lindahl-Preise zahlen. Das Geschäft kann für die benachteiligten Nachfrager mehr Vorteile bringen als die (wohlfahrtsoptimale) Lindahl-Lösung ohne Ausschluss potentieller Nutzer. Arbitrage erschwert zusätzlich das Erreichen einer wohlfahrtsoptimalen Produktionsmenge, weil sie es den Nachfragern mit hohen Zahlungsbereitschaften noch attraktiver macht, ihre Präferenzen zu verschleiern und das Risiko des Nutzungsausschlusses einzugehen.

Groves und Ledyard (1977: 789-791) weisen darauf hin, dass ein Lindahl-Gleichgewicht mit Lindahl-Preisen zwar pareto-optimal, aber in einer neoklassischen Wirtschaft nicht anreizkonform ist. Schließlich erhöht man durch die Erwirtschaftung einer großen persönlichen Kaufkraft auch seine marginale Zahlungsbereitschaft. Bei den meisten öffentlichen Gütern kann man >>155<< jedoch von einer so großen Nachfragerzahl ausgehen, dass die eigene Zahlungsbereitschaft ohne Einfluss auf das Angebot ist. Daher muss man im Lindahl-Gleichgewicht mit einer erhöhten Kaufkraft zwar mehr bezahlen, erhält aber immer noch das gleiche Bündel öffentlicher Güter wie vorher.


4.2.3 Wohlfahrtsförderliche und -schädliche Formen der Preisdifferenzierungen

Preisdifferenzierung ist bei öffentlichen Gütern der einzige Weg, eine wohlfahrtsoptimale Versorgung zu gewährleisten und zugleich die Bedürfnisse der einzelnen Marktteilnehmer in ein stabiles und einvernehmliches Gleichgewicht zu bringen. Nach einer kurzen und allgemeinen Definition von Preisdifferenzierung werden daher die verschiedenen Formen und Wirkungen solcher Preisdifferenzierungen aufgezeigt, welche die Produzenten und Händler bei vielen Gelegenheiten anwenden. Anschließend kann in einer Gegenüberstellung gezeigt werden, dass ein Lindahl-Gleichgewicht auf einer eigenständigen Form von Preisdifferenzierung basiert, welche sich grundsätzlich von den traditionell praktizierten Preisschemata unterscheidet.

Zur Identifikation von Preisdifferenzierung soll im Folgenden die Definition von Wittlage (1965: 2) gelten:

    ,,Preisdifferenzierung liegt dann vor, wenn der Unternehmer planmäßig für Produkte bzw. Dienstleistungen gleicher Art von verschiedenen bzw. denselben Käufern unterschiedlich hohe Preise fordert, die Preisunterschiede aber nicht etwaigen Absatzkostenunterschieden entsprechen bzw. gleich hohe Preise, die Produkte bzw. Dienstleistungen aber unterschiedlich hohe Absatzkosten verursacht haben."

Um erfolgreich Preisdifferenzierung betreiben zu können, muss der Anbieter bei der Preissetzung lediglich ,,über einen gewissen monopolistischen Spielraum, der nur auf unvollkommenen Märkten existieren kann, verfügen, da sonst keine Konsumentenrenten existieren, die er abschöpfen kann. [. . .] Der monopolistische Spielraum des Anbieters impliziert nicht die in der Literatur zur Preisdifferenzierung oft angenommene Monopolsituation des Anbieters." (Faßnacht 1996: 30) Der Preissetzungsspielraum drückt sich im Verlauf der Preisabsatzfunktion aus. Ist diese vollkommen unelastisch, so bricht der Absatz bei einer Preiserhöhung komplett zusammen; diese Situation herrscht im vollkommenen Wettbewerb. Bleibt hingegen noch ein Teil des Absatzes erhalten, wenn der Preis angehoben wird, so begegnet der Anbieter Nachfragern mit unterschiedlichen Zahlungsbereitschaften für das Gut, deren Ausweichmöglichkeiten auf alternative Güter eingeschränkt sind. (Vgl. Wittlage 1965: 19-21) Gelingt es dem Anbieter, diese Nachfrager in verschiedene Marktsegmente einzuordnen und getrennt voneinander anzusprechen, kann er mit Preisdifferenzierung seinen Absatz, Erlös und Gewinn steigern. >>156<<


4.2.3.1 Die Preisdifferenzierung ersten Grades nach Pigou

Auf den britischen Nationalökonomen Arthur Cecil Pigou (1960) geht die verbreitete Klassifizierung von Preisdifferenzierung in drei Grade zurück. Bei der Preisdifferenzierung ersten Grades, der sogenannten perfekten Preisdifferenzierung, schöpft der Anbieter die gesamte Konsumentenrente ab. Bei dieser Maximalbepreisung ist der Käufer indifferent zwischen Kauf und Nichtkauf. Denkbar ist dieser Fall, wenn (1) ,,jeder Käufer nur eine Einheit kaufen darf und dafür einen Preis bezahlen muß, der seinem Höchstgebot entspricht" (Weiß 1972: 170), (2) ein Käufer mit einem zweiteiligen Tarif einen Preis je Einheit in Höhe der Grenzkosten der Produktion bezahlt, dafür aber einen Grundpreis in Höhe des gesamten Nutzens zahlen muss, den ihm dieses Angebot bedeutet, und (3) der Käufer für jede einzelne Einheit einen Preis bezahlt, der seinem jeweils für diese Einheit geltenden Grenznutzen entspricht. In der Summe stellt der erhobene Preis einen All-or-nothing-Preis (AON-Preis) dar, welcher nur von einem perfekt informierten Monopolisten gefordert werden kann. In der Realität ist diese Form der Preisdifferenzierung so gut wie überhaupt nicht anzutreffen, da die notwendigen Bedingungen fast unmöglich alle zugleich erfüllt sind. Varian (1993: 421) nennt als bestes denkbares Beispiel einen Kleinstadtarzt, der sich entsprechend der Kaufkraft seiner Patienten bezahlen lässt.

Abbildung 4-5 zeigt die gewinnmaximale Produktion eines Monopolisten, wobei zur Vereinfachung Produktionskosten von null angenommen werden. Kann der Monopolist nur einen Einheitspreis am Markt fordern, so wählt er den gewinnmaximalen Cournot-Preis PC. Die zu diesem Preis abgesetzte Produktionsmenge QC erzeugt (bei der angenommenen linearen Preisabsatzfunktion) einen Erlös von QCPC und eine Konsumentenrente von QCPC/2. Noch einmal die gleiche Produktionsmenge findet zum Preis PC keinen Abnehmer und wird nicht produziert, obwohl sie noch einen sozialen Überschuss in Höhe von QCPC/2 generieren könnte. Kann der Anbieter hingegen perfekte Preisdifferenzierung vornehmen, so dehnt er die Produktion bis zu dem Punkt aus, an dem der Grenzerlös den Grenzkosten entspricht. Dies ist der Fall, wenn auch der Grenznutzen der Nachfrager gleich den Grenzkosten ist. Der soziale Überschuss steigt um ein Drittel auf das Wohlfahrtsoptimum (von 3QCPC/2 auf 2QCPC), fällt allerdings vollständig an den Produzenten. >>157<<

Abbildung 4-5:
Produktion eines Monopolisten bei Cournot-Preis und bei perfekter Preisdifferenzierung


4.2.3.2 Die Preisdifferenzierung zweiten Grades nach Pigou

Preisdifferenzierung zweiten Grades unterliegt nicht den weitgehenden Restriktionen wie die Preisdifferenzierung ersten Grades. Notwendig ist lediglich, dass im Gesamtmarkt einzelne Segmente mit unterschiedlich hoch verlaufenden Nachfragekurven vorhanden sind. Diese Teilsegmente werden über Angebotsdifferenzierungen so angesprochen, dass sich Marktsegmente mit Nachfragekurven auf höherem Niveau freiwillig für die Angebots- und Produktvarianten mit einem höheren Preis entscheiden. Man spricht hier von einer Selbstsegmentierung des Marktes.

Varian (1997) verwendet zur Untersuchung der Wohlfahrtswirkungen von Preisdifferenzierung zweiten Grades ein einfaches Modell mit zwei Marktsegmenten, von denen Marktsegment A für jede Qualitätsstufe des Gutes eine geringere Zahlungsbereitschaft aufweist als Marktsegment B. Als einfaches Beispiel eines solchen Gutes kann ein elektronisches Bildverwertungsrecht gesehen werden, dessen Qualität x als kombinierter Wert aus Bildauflösung und Farbtiefe definiert werden kann. >>158<<

Abbildung 4-6:
Zahlungsbereitschaften der Nachfrager aus den Marktsegmenten A und B

Qualität x, das einziges Merkmal des Gutes, liegt in der Stärke von xB vor und kann daher auch ohne ungerechtfertigten Aufwand an Segment A verkauft werden, obwohl die Nachfrager hier für eine über xA hinausgehende Qualität keine höhere Zahlungsbereitschaft als die Fläche A haben. Da jeder Nachfrager nur eine Einheit erwirbt, wird ein AON-Preis erhoben.86 Entsprechend schöpft ein perfekt preisdifferenzierender Monopolist von jedem einzelnen Nachfrager die Fläche A bzw. B als Erlös ab.87 Wenn der Anbieter jedoch lediglich von der Existenz der Marktsegmente weiß, einzelnen Nachfragern aber ihre Segmentzugehörigkeit nicht ansehen kann, ist diese Preisdifferenzierung ersten Grades nicht durchführbar. Wenn der Anbieter nur einen Einheitspreis fordern will, so bieten sich ihm zwei Optionen: Für die Qualität xB einen niedrigen AON-Preis PA zu fordern, der von beiden Marktsegmenten gezahlt wird, oder einen hohen AON-Preis PB, welcher nur von Segment B gezahlt wird. Er wird dabei die Option wählen, welche den höheren Gewinn verspricht. Möglicherweise wird er also die Nachfrager in Segment A ausschließen, obwohl diese zu Kosten von null mit versorgt werden könnten. Wählt er allerdings die Option mit dem niedrigen Preis, so ist das Ergebnis dann pareto-optimal, wenn er maximale Qualität produziert.88 >>159<<

Da der Anbieter jedoch die Qualität kontrollieren kann, kann er auch zwei Qualitäten xA und xB zu unterschiedlichen Preisen anbieten. Wählt er xA und bietet sie zum Preis PA an, so werden auch die Nachfrager aus Segment B die Qualität xA kaufen, da sie ihnen eine Konsumentenrente von B lässt (Abbildung 4-7 (I)). Will der Anbieter die zweite Qualität xB noch an Konsumenten aus Segment B verkaufen, so muss diese den Konsumenten aus B mindestens die gleiche Konsumentenrente lassen. Der AON-Preis für P darf also den Wert der Flächen A und C in Abbildung 4-7 (I) nicht übersteigen.

Abbildung 4-7 (II) zeigt, dass eine kleine Verschiebung von xA nach links (Qualitätsverschlechterung) die Fläche A und damit den Gewinn aus dem Verkauf an Segment A um einen kleinen Wert verringert, dargestellt in dem kleinen schwarzen Dreieck. Gleichzeitig steigt aber der Preis an, der von Nachfragern aus Segment B gefordert werden kann, da die von ihnen verlangte Konsumentenrente (Fläche B in Abbildung 4-7 (I/II)) kleiner wird. Der Anbieter kann also seinen Gewinn erhöhen, indem er das billigere Angebot verschlechtert. Das rechnet sich so lange, bis die Abnahme der Erlöse aus dem Verkauf an Segment A genau so hoch ist wie die Zunahme der Erlöse aus dem Verkauf an Segment B. Für einen Markt, in dem sich in beiden Segmenten die gleiche Zahl von Nachfragern befindet, ist das Gewinnmaximum bei der Qualität xA' erreicht, bei der die Flächen A' und B' gleich groß sind (vgl. Abbildung 4-7 (III)). (Vgl. Varian 1997)

Abbildung 4-7:
Strategien des Anbieters zur Selbstsegmentierung der Nachfrager

Die Wohlfahrtswirkungen einer solchen Preisdifferenzierung durch eine willkürliche Verschlechterung der Qualität sind nur im Vergleich zu alternativen Ergebnissen zu bewerten. Falls der Anbieter ohne die Möglichkeit der Preisdifferenzierung über eine Qualitätsverschlechterung einen Einheitspreis >>160<< wählen würde, welcher nur von Nachfragern in Segment B gezahlt wird, werden die Nachfrager aus Segment A ausgeschlossen. Preisdifferenzierung zweiten Grades kann dann eine Steigerung des sozialen Überschusses erzielen, weil so Nachfrager in Segment A wenigstens eine minderwertige Qualität statt überhaupt keiner erhalten.

Wenn man als Vergleichsmaßstab die wohlfahrtsoptimalen Ergebnisse bei perfekter Preisdifferenzierung oder dem Verkauf von Qualität xB zu PA an beide Segmente nimmt, so beträgt der Verlust an sozialem Überschuss durch die Qualitätssenkung das Produkt der Fläche D' in Abbildung 4-7 (III) und der Zahl der Nachfrager in Segment A. ,,The critical issue turns out to be whether differential pricing increases or decreases total output and/or quality. If the total output in a market decreases under differential pricing, then welfare (consumer plus producer surplus) definitely decreases. If total output in a market goes up, then differential pricing increases welfare." (Varian 1997)

Varian (1997) nennt unter anderem die folgenden Beispiele aus dem Bereich der Informationsgüter, welche die große praktische Bedeutung von Qualitätsdifferenzierungen bei der Segmentierung von Märkten deutlich zeigen:

    ,,PAWWS Financial Network charges $8.95 per month for a portfolio accounting system that measures stock values using 20-minute delayed quotes. Real-time quotes are available for $50 per month.

    PhotoDisc sells royalty-free stock photographs on the Web. Professional users want high-resolution images that can be printed in commercial journals; non-professionals want medium- or low-resolution images for newsletters. PhotoDisc sells different size images for different prices; at the time this chapter was written they sold 600K images (72 dots per inch resolution) for $19.95 and 10Mb images (300 dots per inch) for $49.95.

    Wolfram Research, Inc. sells Mathematica, a computer program that does symbolic, graphical, and numerical mathematics. At one time the student version of Mathematica disabled the floating-point co-processor so that mathematical and graphical calculations were much slower. The student version sold for a bit over $100; the professional version sold for over $500.

    Windows NT Workstation 4.0 sells for about $260. It can be configured as a Web server, but only accepts 10 simultaneous connections. Windows NT Workstation Server can accept hundreds of simultaneous connections, and sells for $730-$1080, depending on configuration. According to an analysis by O'Reilly Software, the two operating systems are essentially the same."

Weitere Beispiele der Qualitätsverschlechterung zur Segmentierung unterschiedlich zahlungswilliger Teilmärkte sind Flugtarife (Einschränkung der Buchungsflexibilität), Bahntarife (Komfort) und technische Geräte mit hohen Entwicklungskosten. Varian (1997) führt den IBM Laserdrucker Serie E auf, welcher identisch ist mit dem Standardmodell. Im Unterschied zu diesem >>161<< druckt er aber lediglich fünf statt 10 Seiten pro Minute, da ein eingebauter Chip Druckpausen veranlasst.

Griebel und Tscharntke (1991) weisen auf die Preisdiskriminierung öffentlicher Bibliotheken durch die hohen Preise für gebundene Bücher hin. Die Preise von bis zu 55 Britische Pfund für die gebundene und 15 Pfund für die ungebundene Fassung des gleichen Buches sind nur zum geringsten Teil auf die Herstellungskosten zurückzuführen. (Vgl. Griebel und Tscharntke 1991: 133)

Neben diesen Variierungen der Leistungsmerkmale der Güter muss man auch Mengenrabatte der Preisdifferenzierung zweiten Grades nach Pigou zuordnen (Vgl. Faßnacht 1996: 81). Kennzeichen der mengenbezogenen Preisdifferenzierung ist die Formulierung eines nicht linearen Tarifs, bei dem Nachfrager kleinerer Mengen einen höheren Preis pro Einheit bezahlen als Abnehmer größerer Mengen. Auch hier wird, wie bei der Qualitätsdifferenzierung, das umsatzschwächere Güterbündel absichtlich weniger attraktiv gemacht. Ziel ist, die Nachfrager auf die umsatzstärkeren Bündel zu lenken und so einen größeren Teil des sozialen Überschusses als Produzentenrente abzuschöpfen. Entsprechend der Regel für die Wohlfahrtswirkungen von Produktvariierungen wird die Gesamtwohlfahrt durch Mengenrabatte gesteigert, da das Produktionsvolumen (und damit zum Beispiel auch die Kapazitätsauslastung) wächst.89 (Vgl. Varian 1996)

Preisbündelung ist ebenfalls der Preisdifferenzierung zweiten Grades nach Pigou zuzuordnen, da sich die Nachfrager freiwillig entsprechend den angebotenen Preis-Güterkombinationen segmentieren. Es existieren drei Formen der Preisbündelung: (1) Bei der ,,reinen Preisbündelung" können die Nachfrager die einzelnen Güter nur in den vom Anbieter zusammengestellten Bündeln erwerben; (2) bei der ,,gemischten Bündelung" können die Einzelteile auch einzeln gekauft werden; und (3) bei einem ,,Preisbaukasten" können die Nachfrager standardisierte Paketbestandteile zu individuellen Produktbündeln zusammenstellen. (Vgl. Schmalen 1995: 194)

Ein Beispiel der Preisbündelung mit positiven Wohlfahrtseffekten geben Wildman und Owen (1985) für den Markt für Fernsehprogramme. Allein Preisbündelung ermöglicht hier die Finanzierung eines oder mehrerer Programme mit positiven Wohlfahrtsbeiträgen, was darauf zurückzuführen ist, dass Preisbündelung die Streuung der individuellen Zahlungsbereitschaften reduziert (vgl. Shapiro und Varian 1999: 73-78). Zugleich weisen Wildman und Owen (1985) jedoch nach, dass eine für den Anbieter profitable Preisbündelung nicht immer auch eine Maximierung der Gesamtwohlfahrt bedeuten muss. So kann durch die Produktion eines zusätzlichen Programms ein Programmbündel so ausgeglichen werden, dass der Anbieter mit dem >>162<< erweiterten Bündel zwar höhere Gewinne erzielt, der zusätzliche Nutzen des Bündels aber unter den zusätzlichen Produktionskosten bleibt.

Preisbündelung unterliegt der Missbrauchsaufsicht durch die Kartellbehörden90, da sie der Ausweitung von Monopolstellungen dienen kann (vgl. Schmalen 1995: 197). Ein Beispiel ist der gemeinsame Vertrieb des Internet Explorer mit dem Betriebssystem Windows, mit welchem der Hersteller Microsoft bereits eine Quasimonopolstellung innehat. Durch die automatische Installation des Internet Explorer erübrigt sich für die Anwender der Erwerb eines alternativen Internet browsers, und das Monopol bei Betriebssystemen könnte auch auf diesen Markt ausgedehnt werden.

Eine besondere Art der Preisdifferenzierung zweiten Grades ist der zweiteilige Tarif mit Produktbündelung, die sogenannten ,,Tie-in-Sales". Das klassische Beispiel ist das der IBM-Rechenmaschinen, deren Nutzer nur IBM-Lochkarten kaufen durften. IBM wurde diese Praxis 1936 vom Obersten Gerichtshof der USA untersagt (International Business Machine Corp. versus United States, 298 U.S. 131 [1936]). Telser (1965: 490) beschreibt den Fall folgendermaßen:

    ,,IBM had a monopoly on certain kinds of tabulating equipment, and it required its customers to purchase all of their tabulating cards (on which it held no monopoly) from itself. Some would interpret this as IBM's attempt to extend its monopoly from tabulating equipment to tabulating cards. A more plausible explanation is that the customers' rate of use of the cards measured their rate of use of the equipment. Hence, by charging a price for the cards in excess of their cost, IBM was able to discriminate among its customers according to the intensity of their demand for tabulating equipment. If customers had been allowed to purchase cards from sources other than IBM or from each other, IBM could not as easily have obtained the additional profits of price discrimination."


4.2.3.3 Die Preisdifferenzierung dritten Grades nach Pigou

Bei der Preisdifferenzierung dritten Grades werden Marktsegmente mit unterschiedlich hoch verlaufenden Nachfragekurven anhand beobachtbarer Merkmale so voneinander getrennt, dass einzelne Nachfrager nicht mehr zwischen den einzelnen Segmenten wechseln können oder dürfen (vgl. Faßnacht 1996: 53-55). Damit ist es nicht mehr notwendig, unterschiedliche Produktvarianten zu schöpfen, um unterschiedliche Preise fordern zu können. Die Wohlfahrtsverluste aus der ineffizienten Qualitätssenkung zwecks Preisdifferenzierung zweiten Grades bleiben also aus. In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass bei Preisdifferenzierung dritten Grades Märkte, die bei Einheitspreisen unbedient blieben, mitversorgt werden können, zumindest aber die soziale Wohlfahrt nicht verringert wird. (Vgl. Varian 1996) >>163<<

Preisdifferenzierer bedienen sich verschiedener Methoden der sogenannten Marktspaltung, um die Marktsegmente voneinander zu trennen. Eine Möglichkeit ist die personengebundene Preisdifferenzierung: Kindergartengebühren werden oft nach der Einkommenshöhe gestaffelt, Kontoführungsgebühren nach dem Ausbildungsstatus, Friseurkosten nach dem Geschlecht, Versicherungspreise nach der Berufszugehörigkeit, Flug- und Bahnpreise nach dem Alter, Computerprogrammpreise nach der Universitätszugehörigkeit usw. (vgl. Faßnacht 1996: 62f). Eine zunehmende Bedeutung gewinnt seit den 80er Jahren die Preisdifferenzierung auf dem Markt für wissenschaftliche Zeitschriften, vor allem durch ausländische Verlage: ,,Die Aufschläge für Bibliotheksabonnements sind insbesondere bei den für die Forschung und Lehre unverzichtbaren Titeln vielfach exorbitant und erreichen das 5-, 10-, ja bis zu 15fache der `individual rate'." (Griebel und Tscharntke 1991: 134) Eine weitere Art der Preisdifferenzierung dritten Grades sind die Preisdifferenzierung nach dem Verwendungszweck (z.B. Alkohol/Brennspiritus, Heizöl/Diesel, Kraftstrom/Haushaltsstrom) (vgl. Tacke 1989: 23f; Schmalen 1995: 185) und die regionale Preisdifferenzierung (vgl. Schmalen 1995: 185).

Neben diesen simultanen Formen fällt auch die zeitliche Preisdifferenzierung unter die Preisdifferenzierung dritten Grades nach Pigou. Ohne dass sich die Nachfrager der Preissetzung durch die Anbieter entziehen können, gelingt diesen durch eine zeitliche Veränderung der Preise eine größere Abschöpfung der Zahlungsbereitschaft. In der Regel wird bei der zeitlichen Preisdifferenzierung zuerst ein hoher Preis gefordert, um die hohe Zahlungsbereitschaft der kaufwilligsten (und ungeduldigsten) Nachfrager abzuschöpfen. Danach folgt eine graduelle Absenkung des Preises, um auch Käufer mit niedrigeren Zahlungsbereitschaften anzusprechen.

Ein gutes Beispiel dieser ,,Skimming-Strategie" (Schmalen 1995: 129) ist die bereits in Kapitel 2.5.8 beschriebene Verwertungskaskade bei Medieninhalten, wo die zeitliche Preisdifferenzierung oft simultan mit einer Qualitätsvariierung (Preisdifferenzierung zweiten Grades) auftritt. Diese kann beabsichtigt (Qualität der Buchbindung, Bild- und Tonqualität der ,,späteren" Medien) oder systembedingt sein (Entwertung der Computerprogramme durch Neuentwicklungen). Nachteile der Skimming-Strategie sind, dass potentielle Käufer ihre Nachfrage in Erwartung fallender Preise zurückhalten und die hohen Preise ein Negativimage ,,zu hoch" gesetzter Preise transportieren können. Andererseits setzen hohe Preise jedoch auch ein positives Qualitätssignal und bieten Spielraum für psychologisch wichtige Preissenkungen, wenn Konkurrenzprodukte auf den Markt kommen. (Vgl. Schmalen 1995: 129f)

Zur Einführung von Produkten mit starken Netzwerkeffekten (vgl. Kapitel 2.2.8.3) oder zur Erlangung einer Monopolstellung allgemein ist die Penetrations-Strategie bzw. ,,Strategie der Marktdurchdringung" die geeignetere Form der zeitlichen Preisdifferenzierung (Schmalen 1995: 129). Sie ist >>164<< das direkte Gegenteil der Skimming-Strategie und setzt anfangs möglichst niedrige Preise. Gewinne sollen erst später über angehobene Preise erzielt werden, wenn das Produkt weitgehend akzeptiert ist und Konkurrenten vom Markt verdrängt oder dauerhaft abgeschreckt worden sind. (Vgl. Canoy 1994) Als Beispiel der Anwendung der Penetrations-Strategie ist erneut die Einführung des Microsoft Internet Explorer zu nennen. Mit einem Preis von praktisch null wurde ein technisch zunächst unterlegenes Produkt der stärkste Konkurrent des Marktführers Netscape. Erlöse verspricht sich Microsoft mutmaßlich (1) durch den exklusiven Verkauf von Serverprogrammen, welche mit dem Internet Explorer optimal zusammenarbeiten und (2) durch den zukünftigen Preissetzungsspielraum als Marktführer. Mittlerweile wendet Netscape allerdings die gleiche Preisstrategie zum Schutz seiner (geschrumpften) Marktanteile an. Eine deutliche Vormachtstellung eines Anbieters ist daher mittelfristig nicht zu erwarten. (Vgl. Shapiro und Varian 1999: 289-294)

Während die Wohlfahrtseffekte der simultanen Preisdifferenzierungsmethoden relativ einfach beurteilt werden können, ist dies bei der zeitlichen Preisdifferenzierung schwierig. Die Verzögerung des Konsums durch bewusstes oder unbewusstes Warten auf Preissenkungen stellt einen Wohlfahrtsverlust dar, der mit dem aus der Qualitätsminderung der Preisdifferenzierung zweiten Grades vergleichbar ist. Canoy (1994) gelingt zumindest für natürliche Monopole der Nachweis, dass eine zeitliche Preisdifferenzierung eine Paretooptimierung gegenüber Einheitspreisen erreichen kann, da ansonsten nicht alle potentiellen Skaleneffekte ausgeschöpft werden.


4.2.3.4 Lindahl-Preise als eigenständige Form der Preisdifferenzierung

Die in Kapitel 4.2.2.4 vorgestellten Lindahl-Preise für öffentliche Güter sind zwar eindeutig differenzierte Preise, fügen sich aber nicht ohne weiteres in das Pigousche Schema ein:

1) Die Preisdifferenzierung ersten Grades beraubt die Nachfrager über differenzierte AON-Preise ihrer gesamten Konsumentenrente. Lindahl-Preise hingegen lassen dem Konsumenten genau wie auf dem perfekten Markt für private Güter eine Konsumentenrente in Höhe der Differenz zwischen der Nachfragekurve und der Preislinie. Wie bei privaten Gütern entspricht die Preislinie an jeder Stelle dem durch die letzte Einheit erzielten Grenznutzen.

2) Die Preisdifferenzierung zweiten Grades variiert die Qualität des angebotenen Güterbündels, während beim Lindahl-Gleichgewicht sowohl Qualität als auch Quantität für alle Nachfrager gleich (und damit maximal) sind. Entsprechende, willkürlich durch Produktionsentscheidungen erfolgende Einschränkungen der sozialen Wohlfahrt bleiben aus, und dennoch kann jeder Konsument bedient werden. >>165<<

3) Bei der Preisdifferenzierung dritten Grades trennt der Anbieter Marktsegmente mit unterschiedlicher Preiselastizität voneinander und setzt für diese verschiedene, gewinnmaximale Cournot-Preise. Während dieses Verfahren den Nachfragern noch eine Konsumentenrente lässt, schließt es aber durch den auf das Marktsegment abgestimmten Einheitspreis Nachfrager aus, obwohl deren Bedienung diese besser stellen könnte, ohne andere schlechter zu stellen (vgl. Abbildung 4-5). Bei Lindahl-Preisen hingegen stellt sich ein Lindahl-Gleichgewicht ein, bei dem die Wohlfahrt maximal ist und der Preis niemanden vom Konsum eines Gutes ausschließt.

Am ehesten entsprechen Lindahl-Preise einer Preisdifferenzierung ersten Grades im Wettbewerb, bei dem die Anbieter keinen AON-Preis mehr fordern können, weil die vereinzelten Anbieter nur jeweils eine Teilmenge des öffentlichen Gutes bereitstellen. Da jeder Anbieter jeden Nachfrager bedienen will, können die Nachfrager jedem Anbieter damit drohen, auf den Konsum der gerade von ihm produzierten Einheit zu verzichten. Auch wenn die Anbieter perfekt preisdifferenzieren können, wird dann keiner von ihnen mehr als den Nutzen dieser einen Einheit als Preis abschöpfen können.


4.2.3.5 Fazit

Preisdifferenzierungen sind überaus häufig in Bereichen der Wirtschaft anzutreffen, die sich durch hohe fixe Kosten in der Produktion auszeichnen. Dies gilt sowohl für stark konzentrierte Industriezweige als auch solche mit intensivem Wettbewerb, sofern ein gewisser Preissetzungsspielraum vorliegt. (Vgl. Faßnacht 1996: 9; Varian 1996) In seiner empirischen Untersuchung stellt Faßnacht (1996) fest, dass ,,die Preisdifferenzierung eine überragende Bedeutung für die Preispolitik von Dienstleistungsunternehmen besitzt." In der Mehrzahl der Fälle werde sogar mehr als eine Implementationsform der Preisdifferenzierung herangezogen. (Faßnacht 1996: 99)

Die positiven Wirkungen der Preisdifferenzierung, ansonsten ungenutzte Produktionspotentiale auslasten zu können und dadurch die soziale Wohlfahrt zu erhöhen, sind bereits hinreichend in dieser Arbeit beschrieben worden. Preisdifferenzierung unterstützt aber auch den Wettbewerb in den Fällen, in denen neue Anbieter oder neue Produkte auf den Markt kommen. Hier ,,können Preisdifferenzierungen eine wertvolle Hilfe sein, konkrete Vorstellungen über Form und Lage der individuellen Absatzkurve zu gewinnen - eine notwendige Voraussetzung rationalen Wettbewerbsverhaltens." (Weiß 1972: 103)

Wettbewerbspolitisch bedenklich wird Preisdifferenzierung erst dann, wenn sie zur Erlangung oder dem Erhalt einer Monopolstellung dient oder den Leistungswettbewerb auf eine andere Art und Weise verfälscht. Normalerweise befürchtet man bei Zulassung von Preisdifferenzierung eine nicht leistungsgerechte Einkommensverteilung, wobei die mächtigeren Marktteilnehmer >>166<< (Nachfrager und Anbieter) Vorteile zu Lasten der schwächeren Marktteilnehmer erzwingen. (Vgl. Weiß 1972: 178) Andererseits kann zum Beispiel durch das Verbot von Mengenrabatten eine Benachteiligung von größeren Abnehmern erfolgen, da nicht alle Ersparnisse, die im Vergleich zu kleineren Abnehmern auftreten, an sie weitergegeben werden dürfen. (Vgl. Weiß 1972: 150f)

Mindestens ebenso schwierig wie die Verfälschung der Leistungsgerechtigkeit ist eine gezielte Verwendung von Preisdifferenzierung als Mittel des Vernichtungswettbewerbs festzustellen. Denn selbst wenn ein Unternehmer unterhalb seiner Grenzkosten vertreibt, kann dies der Käuferschichtenerschließung dienen. Vor einer Verurteilung muss daher gefragt werden, (1) ob die Preisdifferenzierung zielgerichtet gegen Wettbewerber erfolgt (z.B. bei sogenannten Frachtbasissystemen, Frankostationspreissystemen und Treuerabattsystemen) sowie (2) wie groß aufgrund der Marktverhältnisse die Gefahr der Erlangung einer Monopolstellung ist. (Vgl. Weiß 1972: 111)

Canoys (1994: 294) Definition von wettbewerbsgefährdendem Dumping als Verkauf unterhalb der Durchschnittskosten ist bei möglicher Preisdifferenzierung wenig hilfreich. Viel sinnvoller ist das übliche Verfahren, erst bei einem Verkauf zu Preisen unterhalb der Grenzkosten von wettbewerbsschädlichem Dumping zu sprechen, da hier mit jeder verkauften Einheit Verlust gemacht wird. Ein solches Verhalten kann nur der Schädigung der Marktposition von Konkurrenten dienen. Ein Verkauf zu Grenzkosten der Produktion ist hingegen in der Regel unbedenklich.

Preisdifferenzierungen müssen jedoch nicht nur auf ihre Wettbewerbswirkungen hin geprüft werden, sondern auch auf mögliche negative Auswirkungen auf die Gesamtwohlfahrt. Da Preisdifferenzierung jeweils vom Anbieter betrieben wird, wird sie stets dann eingesetzt, wenn dadurch die Produzentenrente erhöht werden kann. Geht die Produktionsmenge jedoch zur gleichen Zeit zurück, so ist ein Rückgang des sozialen Überschusses zu erwarten. Der soziale Überschuss kann aber auch dann durch Preisdifferenzierung zurückgehen, wenn die Produktionsmenge zunimmt. Zum einen kann dies bei bestimmten Fällen von Preisbündelung geschehen, wie bereits Kapitel 4.2.3.2 zeigte. Zum anderen ist Preisdifferenzierung mit Transaktionskosten verbunden, die über denen des Verkaufs zu Einheitspreisen liegen. Werden diese Kosten der Marktspaltung, Kontrolle von Arbitrage usw. durch die Mehrerlöse der Preisdifferenzierung gedeckt, so lohnt sie sich die Preisdifferenzierung für den Anbieter. Auch wenn dann die Produktionsmenge ausgedehnt wird, kann der soziale Überschuss sinken, da ein größerer Teil der abgeschöpften Konsumentenrente zu Deckung der höheren Transaktionskosten verwendet wird.

Die bislang getroffenen Aussagen zu den Wirkungen von Preisdifferenzierung auf die soziale Wohlfahrt bezogen sich in der Regel auf die Produktionsmenge der Güter und den dadurch erzielten sozialen Überschuss. >>167<< Sieht man einmal von der wünschenswerten vollständigen Versorgung aller Nachfrager mit jeder produzierten Einheit nicht rivaler Güter ab, so ist für Medieninhalte aber auch die Wirkung auf Qualität und Vielfalt des Angebots von überragender Bedeutung. Die dafür notwendige, umfangreiche Analyse ist an dieser Stelle noch nicht möglich und wird statt dessen erst ab Kapitel 4.4 vorgenommen.

    80 In Kapitel 4.3 werden die daraus hervorgegangenen ökonomischen Modelle vorgestellt.

    81 Mit einer solchen Konstellation befinden sich die Akteure im ,,Gefangenendilemma" der Spieltheorie: Zwei Komplizen werden voneinander getrennt zum Tathergang befragt. Wenn beide die Tat abstreiten, wird jeder für ein Jahr eingesperrt. Gestehen beide, so wird jeder zu fünf Jahren verurteilt. Gesteht nur einer, so wird dieser mit einem Freispruch belohnt, während der andere sieben Jahre eingesperrt wird. Kooperation würde sich für beide Seiten lohnen, aber keiner der Gefangenen kann das Verhalten des anderen kontrollieren. Aus dem Misstrauen, dass der andere mit dem Geständnis einen Freispruch für sich anstrebt, während man selbst zehn Jahre sitzen soll, gesteht man schließlich selbst. Als Ergebnis ist in diesem Beispiel die Summe der Strafen mit 10 Jahren fünf mal höher als wenn beide im Vertrauen aufeinander die Tat geleugnet hätten. Eine lesenswerte Darstellung des Gefangenendilemmas im Zusammenhang mit nicht exkludierbaren Gütern findet sich in deutscher Sprache bei Bonus (1980).

    82 Eine ausführlichere Darstellung der einzelnen Güterarten findet sich in deutscher Sprache bei Grossekettler (1995: 499f).

    83 Zum Urheberschutz sowie den Problemen eingeschränkter Exkludierbarkeit und Piraterie siehe Kapitel 2.3.

    84 Zur Definition von Grenzkosten: ,,Die Grenkosten irgendeines Ausbringungsniveaus sind die zusätzlichen Kosten, die bei einer Produktionssteigerung um eine Mengeneinheit entstehen. Oder genauer: Sie sind das Verhältnis zwischen Kosten- und Ausbringungssteigerung bei einer geringen Ausbringungserhöhung." (Lancaster 1981: 154)

    85 Burns und Walsh (1981: 175-177) zeigen, dass aufgrund dieser Mengenbegrenzung für Nachfrager mit hoher Zahlungsbereitschaft es für einen Monopolisten Produktionsmengen unterhalb der erlösmaximierenden Menge QE gibt, bei denen bei einer Produktionsausdehnung der erlösmaximale Preis sogar ansteigen kann. Dies kann dann dazu führen, dass die Zahl derjenigen, die in ihrem Konsum eingeschränkt werden, sogar steigt, wenn die Produktion ausgedehnt und gewinnmaximierend bepreist wird.

    86 Die hier getroffenen Annahmen dienen der Einfachheit. Gleichwohl können die Resultate auch in komplexeren Modellen wiederholt werden. (Vgl. Varian 1997: o.S.)

    87 Wenn man auf die Annahme verzichtet, dass eine AON-Preissetzung für den Anbieter möglich ist, so ändert sich an der Analyse lediglich, dass der Anbieter Cournot-Preise setzt. Diese verursachen jeweils Wohlfahrtsverluste, wie sie bereits Abbildung 4-5 zeigt.

    88 Varian (1997) kommt in seiner Bewertung der Wohlfahrtswirkungen allerdings zu dem Ergebnis, dass der soziale Überschuss bei perfekter Preisdifferenzierung höher ist als der durch einen Verkauf an beide Segmente zum Preis von PA. Damit liegt er jedoch falsch, da gegenüber einem Vertrieb an beide Segmente zu einem niedrigen Preis durch Preisdifferenzierung allein noch kein Wohlstand generiert wird. Weder die Qualität noch die Zahl der Nutzer werden dadurch erhöht. Varians Fehler liegt vermutlich in der Annahme, dass zum Preis von PA auch nur die Qualität xA angeboten wird und die Nachfrager aus Segment B um den Nutzen aus Fläche C in Abbildung 4-7 gebracht werden. Bei Grenzkosten der Qualität in Höhe von null ist ein solches Anbieterverhalten jedoch nicht nachzuvollziehen.

    89 Zu den einzelnen Formen mengenbezogener Preisdifferenzierung vergleiche Faßnacht (1996: 76-80).

    90 In Deutschland auf der Grundlage von § 18 GWB (alt), bzw. dem dritten Abschnitt in der Neufassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen.

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