Ökonomie
der Medieninhalte. ,,Confronted with new technological developments, we always tend to overestimate its short-term effects and to underestimate its long-term effects." Jaron Lanier (zitiert in Dreier 1994: 123) 3 Auswirkungen der Neuen Medien auf den InhaltevertriebDas vorgehende Kapitel stellte Medieninhalte als ein Wirtschaftsgut dar, welches dem Konsumenten nur selten in seiner Reinform begegnet. In der Regel erwirbt dieser Trägermedien, welche Medieninhalte enthalten und ihm deren Nutzung ermöglichen. Lediglich ein Teil der Kosten der Medien wird für die Erstellung der Inhalte aufgewendet. Nur beim Rundfunk kann nahezu der gesamte Herstellungsaufwand als first copy costs aufgefasst werden - der Erwerb von Fernseh- oder Radioprogrammen kommt daher dem Erwerb von Medieninhalten sehr nahe. Allerdings mindert die Bindung der Inhaltenutzung an einen zeitlich festgelegten Programmablauf den Wert der Inhalte erheblich. In diesem Kapitel wird gezeigt, dass die gegenwärtigen Neuen Medien große Veränderungen für den Vertrieb von Medieninhalten mit sich bringen. Sowohl die erzwungene Bündelung des Erwerbs von Medieninhalten mit dem von Trägermedien als auch die erzwungene Programmabhängigkeit der Inhaltenutzung beim Rundfunk werden mit den Möglichkeiten der Neuen Medien entfallen. Als Konsequenz dieser Entkopplung sowie weiterer Mehrwerte der Medieninhaltenutzung kann weiter gezeigt werden, dass die Medieninhalte in Zukunft eine wesentlich wichtigere Rolle - sowohl bei der Wertschöpfung moderner Volkswirtschaften allgemein als auch für die soziale Chancengleichheit der Menschen - einnehmen werden. Kapitel 4 wird anschließend zeigen, dass aufgrund der besonderen ökonomischen Eigenschaften von Medieninhalten ein Marktversagen vorliegt, was angesichts ihrer zunehmenden Bedeutung ein ernstzunehmendes Problem darstellt. Das im Rahmen der Neuen Medien oft im Zentrum der politischen Diskussion stehende Urheberrecht bietet hingegen keine unüberwindbaren Probleme, wie noch dieses Kapitel deutlich macht. 3.1 Technische Veränderungen der Inhalte Der Begriff der ,,Neuen Medien" wird traditionell für die Beschreibung neuer Kommunikationstechnologien verwendet und muss naturgemäß in Abhängigkeit von den zu einer bestimmten Zeit vorherrschenden Medien definiert werden. So wurden zum Beispiel in den achtziger Jahren Kabel- und Satelli- >>88<< tenfernsehen sowie Video- und Bildschirmtextsysteme als ,,neue Medien" bezeichnet. Im Rahmen dieser Arbeit ist es die Digitalisierung der Inhalte, welche ein Medium in den neunziger Jahren ,,neu" gegenüber den traditionellen Medien macht. (Pfammatter 1998b: 10-12) Die Digitalisierung vereint die ökonomischen Sektoren Informatik, Telekommunikation und Massenmedien und ist damit die Grundlage all der umwälzenden Entwicklungen und Möglichkeiten der Mediennutzung, welche dieses Kapitel beschreibt. (Vgl. Europäische Kommission 1995: 19) Die traditionelle Form der Speicherung und Übertragung von Medieninhalten erfolgt analog (griechisch: ähnlich). Analoge Signale oder Speicherformen haben eine Erscheinung, die in irgendeiner Weise ähnlich dem zu übermittelnden oder speichernden Inhalt ist. ,,Das Telefon zum Beispiel verwandelt Ihre Sprache in elektrische Schwingungen, die genauso aussehen würden, wenn Sie Ihre Sprache auf einem Oszilloskop betrachten könnten." (Gates 1995: 403) Bei der Digitalisierung werden die Inhalte dagegen in einen binären Kode umgewandelt und als eine Abfolge von Nullen und Einsen dargestellt. Jede Ziffer wird als Bit bezeichnet, und acht Bits ergeben zusammen ein Byte als die kleinste eigenständige Informationseinheit. Digitalisierte Medieninhalte ermöglichen im Gegensatz zu analogen sowohl ihre Aufteilung in einzelne Datenpakete, was einen diskontinuierlichen Betrieb ermöglicht (Gates 1995: 403-410), als auch Datenkompression, was zum Beispiel im Rundfunk eine Vervielfachung der Übertragungskapazitäten um den Faktor vier bis sechs ohne Qualitätseinbußen ermöglicht (Zerdick et al. 1999: 43). Zudem ist der digitale Kode sehr unempfindlich gegenüber Störfaktoren, da er mit nur zwei Zuständen (Null und Eins) äußerst grob strukturiert ist. Der analoge Kode weist dagegen mit seiner unendlich hohen Zahl unterschiedlicher Zustände eine so feine Struktur auf, dass deren absolut störungsfreie und unveränderte Übertragung oder Reproduktion unmöglich ist. Zunächst ist daher festzustellen, dass die Digitalisierung die Kosten der Speicherung und Übertragung von Medieninhalten erheblich senkt und daher auch technische Qualitätsverbesserungen der Inhaltewiedergabe erlaubt. 3.1.1.1 Gestiegenes technisches Potential von Urheberrechtsverletzungen Der Schutz der Urheberinteressen ist bei analogen Medieninhalten zu einem entscheidenden Teil darauf zurückzuführen, dass nur die Rechtsinhaber mit Filmnegativen, Masterbändern von Tonaufnahmen oder Druckplatten von Büchern in der Lage sind, qualitativ hochwertige Kopien anzufertigen. Zudem können sie bei der Kopienproduktion eine effiziente Massenproduktion betreiben, mit denen die Kosten der Trägermedien bei einer zugleich hohen Nutzungsqualität niedrig gehalten werden können. Fertigen andere als die legitimen Rechtsinhaber analoge (Schwarz-)Kopien an, so unterliegen sie einerseits deutlichen Qualitätsverlusten, da Kopien von Kinofilmen, Schall- >>89<< platten oder Büchern zwangsläufig unschärfer, unklarer oder unleserlicher sind als ihre Vorlagen. Andererseits erreichen die Schwarzkopierer auch keine so hohen Stückzahlen, so dass sie - mangels Ausnutzung von Skalenökonomien der Reproduktion - einen höheren zeitlichen und materiellen Aufwand pro Stück haben. Um Kosten zu sparen, werden sie daher oft auf minderwertige Trägermedien zurückgreifen, wie zum Beispiel ungebundene Blätter statt eines aufwendig gebundenen Buches. Aus diesen Gründen kann ein rechtmäßiger Anbieter von analogen Medieninhalten seine Preise höher als die Kosten einer Kopie setzen und so Deckungsbeiträge für die Erstellung der Inhalte einnehmen, ohne einen besonderen Aufwand bei der Kontrolle nicht autorisierter Kopiervorgänge (mit niedrigen Stückzahlen) betreiben zu müssen. Bei digitalen Medieninhalten sind dem nicht autorisierten Vervielfältigen keine vergleichbaren Schranken gesetzt: Digitale Schwarzkopien sind von rechtmäßigen Vervielfältigungsstücken nicht zu unterscheiden und daher auch immer von gleich hoher Qualität. Zugleich verschwindet der zeitliche und materielle Mehraufwand der Schwarzkopien vollständig, denn das Kopieren zum Beispiel von Computerdateien erfolgt sekundenschnell, und der eingenommene Platz auf dem Datenträger ist genau so groß wie bei einer vom Urheber erstellten Kopie. Zudem ist ein digitalisierter Medieninhalt vielfältigen Manipulationen ausgeliefert, die bei analogen Medieninhalten nur schwierig vorzunehmen wären. Sowohl die Authentizität eines Werkes als auch der Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts sind daher ebenfalls Gefahren ausgesetzt, zumal Manipulationen nur schwer festzustellen sind, wenn das Original nicht zum Vergleich vorliegt. 3.1.1.2 Neue technische Möglichkeiten des Urheberschutzes Die Digitalisierung bringt jedoch nicht nur Gefahren für den Urheberschutz mit sich, sondern gleichzeitig auch neue und wirksame Möglichkeiten, um diesen Gefahren zu begegnen: Mit Digitalen Wasserzeichen, auch Tätowierungen genannt, können Informationen über Urheberschaft und Nutzungsrechte (electronic rights management information - ERMI) in einen Medieninhalt eingefügt werden, ohne dass sie durch die menschliche Sinne wahrgenommen werden können oder anderweitig den Nutzenwert beeinträchtigen. Zugleich kann es technisch nahezu unmöglich gemacht werden, diese ERMI durch Datenkompression, analoge Kopiervorgänge oder durch gezielte Manipulationen zu entfernen oder zu verändern. (Vgl. Tuck 1997) Mit diesem, als watermarking bezeichneten Prozess ist es möglich, digitale Medieninhalte oder sogar Fragmente davon eindeutig einem Urheber zuzuordnen. Wenn die zur Nutzung der Inhalte benötigten Geräte entsprechend ausgestattet sind, können mit dieser Information auch die Verwen- >>90<< dungsmöglichkeiten eines Medieninhalts eingeschränkt46 oder an bestimmte Voraussetzungen geknüpft werden. (CICCP 1996: 22; vgl. Dyson 1997: 181)47 Solche Voraussetzungen können zum Beispiel der Besitz eines zeitlich begrenzten Freischaltkodes oder die erfolgreiche persönliche Identifikation als Nutzungsberechtigter über ein Netzwerk sein. Aktive electronic rights management systems (ERMS), die allerdings noch nicht in der Praxis verwendet werden, wären sogar in der Lage, die mit einem Computer vorgenommenen Nutzungshandlungen selbständig zu registrieren und in Rechnung zu stellen. Auch könnten sie Manipulationsversuche protokollieren und (bei Netzwerkanbindung) den Rechtsinhaber informieren. Entsprechend zahlreich sind die von Dussollier (1998) aufgezählten Funktionen eines ERMS: · ,,it can record the terms and
conditions of the contracts between concerned agents Mit dem WIPO-Urheberrechtsvertrag vom 20. Dezember 1996 verpflichteten sich die unterzeichnenden Staaten, die von den Rechtsinhabern >>91<< angewendeten technischen Mittel zur Verteidigung ihrer Rechte zu schützen. Dieser Schutz besteht im Verbot (1) der Entfernung oder Manipulation der rights management information und (2) der Verwertung manipulierter Werke (Artikel 12) sowie im angemessenen Schutz vor einer Umgehung der verwendeten technologischen Maßnahmen (Artikel 11). Die USA sind diesen Bestimmungen bereits Ende 1998 mit dem Digital Millenium Copyright Act nachgekommen. Dieser verbietet unter anderem die Herstellung oder den Vertrieb von Technologie, die zur Manipulation der zum Schutz der Urheberinteressen eingesetzten technologischen Maßnahmen verwendet werden kann. (Macavinta 1998) Ähnliche Maßnahmen sieht auch der Vorschlag der Europäischen Kommission zu einer Urheberrechtsrichtlinie in Artikel 6 und 7 vor (vgl. Europäische Kommission 1997c). Varian (1998) weist darauf hin, dass auch die besten juristischen Maßnahmen zum Schutz der Urheberinteressen ins Leere laufen, wenn nicht autorisierte Verwendungen der Werke unentdeckt bleiben. Gerade hier zeichnet sich jedoch ab, dass die Neuen Medien auch die Möglichkeiten zur Entdeckung von Piraterie verbessern. Schließlich müssen zumindest kommerzielle Inhaltepiraten auf ihre Angebote aufmerksam machen, um Käufer zu finden. Wenn den Konsumenten diese nicht autorisierten Angebote innerhalb der Neuen Medien gemacht werden, können sie sehr viel einfacher als früher entdeckt werden, da gerade die digitale Technik die automatische Suche erleichtert. (Vgl. auch Shapiro und Varian 1999: 92f) Es bleibt daher festzuhalten, dass die Digitalisierung zwar theoretisch die perfekte und effiziente Reproduktion geschützter Werke auch durch nicht autorisierte Nutzer ermöglicht, mit digitalen Verfahren aber auch der technische Aufwand zunimmt, bevor überhaupt die erste Schwarzkopie angefertigt werden kann. Um diese Kosten durch Verkaufserlöse decken zu können, muss der Inhaltepirat größere Stückzahlen absetzen, was die Rechtsinhaber jedoch mit sehr geringem Aufwand entdecken können. Es ist daher zumindest langfristig davon auszugehen, dass sowohl im kleinen als auch im großen Maßstab betriebene Urheberschutzverletzungen innerhalb der Neuen Medien ausgeschlossen werden können. 3.1.1.3 Nachteile der Schutztechnologien Gerätehersteller und Konsumentenvereinigungen kritisieren gemeinsam den rechtlichen Schutz von technischen Systemen zum Schutz der Urheberinteressen, weil damit zukünftig auch das Anfertigen privater Kopien der Kontrolle der Urheber unterliegt. Genau dies ist aber bislang aufgrund von Schrankenbestimmungen bzw. der Fair Use Doctrine der amerikanischen Urheberrechtssprechung gestattet. Ohne die Schrankenbestimmungen direkt aufzugeben, werden sie doch de facto annulliert, da es keine technischen Möglichkeiten >>92<< mehr zur Ausübung dieser Rechte geben wird. (Vgl. HRRC 1997; Shapiro 1997) Kapitel 3.3.3 wird auf diese Problematik detailliert eingehen. Aufgrund der eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten von technisch geschützten digitalen Medieninhalten erwarten einige Kommentatoren auch eine Ablehnung dieser Inhalte durch die Konsumenten. Dies geschah bereits in den achtziger Jahren in der Computerprogrammbranche, als die Konsumenten auf den Erwerb von Programmen, die mit einem aktiven elektronischen Kopierschutz versehen waren, nahezu vollständig verzichteten und weitgehend auf ,,gekrackte", das heißt illegal vom Kopierschutzmechanismus befreite Software zurückgriffen. Daraufhin verschwanden diese Kopierschutzsysteme wieder vom Markt, und die meisten Computerprogramme sind seither vollkommen ohne Einschränkungen durch die Konsumenten kopierbar. Ob und in welcher Weise die Konsumenten Kopierschutzsysteme bei anderen Medieninhalten akzeptieren werden, ist allerdings noch völlig unklar, da diese noch niemals für Filme oder schriftliche Texte verwendet wurden und sich auch bei Musik erst in der Anfangsphase der Markteinführung befinden. (Vgl. LAB 1995) Das Verbot der Manipulation von Urheberschutzsystemen ist auch dort problematisch, wo zu Forschungszwecken oder zu dem Zweck, andere Computerprogramme interoperabel zu machen, ein legitimer Grund besteht, Schutzsysteme zu entfernen oder zu verändern. Selbst wenn es dafür rechtliche Ausnahmeregelungen gibt (der US-amerikanische Digital Millenium Copyright Act sieht diese vor), so ist doch im Einzelfall eine deutliche Abgrenzung gegenüber unzulässigen Handlungen schwierig. Zudem behindert der erhöhte technische oder materielle Aufwand bei der Umgehung von Schutzsystemen die Entwicklung neuer Medieninhalte sowie die Verbesserung von Nutzungsmöglichkeiten bestehender Medieninhalte. (Vgl. Dreier 1994: 140-141; Lesser und Arafeh 1996) Entscheidende Gefahren für Privatsphäre und Datenschutz der Medienkonsumenten gehen aus der Fähigkeit der aktiven electronic rights management systems hervor, jegliche Nutzunghandlungen zu protokollieren und weiterzugeben. Die so erstellten Inhaltenutzungsprofile sind von sehr hohem Wert für die Anbieter aller möglichen Güter und Dienste und unterliegen daher einer großen Gefahr der unerwünschten Weitergabe. (Vgl. LAB 1995; Medosch 1997) Das Legal Advisory Bord fordert daher die Europäische Kommission auf, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um die Kommerzialisierung oder den Missbrauch dieser Daten zu verhindern. 3.1.2 Multimedia statt Medientrennung Bei der Übertragung oder Speicherung von digitalen Signalen ist es technisch gesehen ohne Bedeutung, was für eine Art Medieninhalt - Schrift, Ton, Bild oder Computerprogramm - der binäre Kode repräsentiert. Dies ermöglicht die >>93<< technisch problemlose Kombination verschiedener Medienarten zu einem einzigen Inhalt - der Inhalt wird multimedial. Der Begriff ,,Multimedia", 1995 zum deutschen Wort des Jahres gewählt, steht daher eigentlich für einen ,,Multikode" (Doelker 1998: 37). Mit ihm werden inhaltliche Bedeutungen durch die gleichzeitige Verwendung mehrerer Kodes (,,einfache Texte" im Sinne von Schrift, Ton, Bild oder Computerprogrammen) konstituiert.48 Solche multimedialen Darstellungen bezeichnet Doelker (1998: 38) als ,,Gesamttexte", während ,,additive Texte" zwar mehrere Kodes verwenden, diese aber getrennt voneinander und ohne semantisch zusammenzuhängen Bedeutungen konstituieren. Die Vorteile des Multikodes liegen in der Möglichkeit, die spezifischen Leistungen der unterschiedlichen Kodes optimal zu kombinieren und so die Nutzungswerte von Medien zu erhöhen: In der gleichen Zeit können mehrere Informationskanäle gleichzeitig genutzt und komplexe Zusammenhänge verständlicher dargestellt werden. Als unterschiedliche Eigenschaften der Kodes stellt Doelker (1998: 38f) zum Beispiel der ,,Abstraktheit", ,,Zeitlichkeit", ,,Rationalität" und ,,festgeschriebenen Bedeutung des Wortes" die ,,Konkretheit", ,,Räumlichkeit", ,,Emotionalität" und ,,offene Bedeutung des Bildes" gegenüber. Noam (1995) erwartet entsprechend für die Zukunft als Standardformat der Informationsdarstellung einen ,,comic strip", in dem Schrift, Symbole, unbewegte und bewegte Bilder kombiniert werden und sich als ,,'hyper' comic strip" den Nutzungswünschen des Rezipienten anpassen (vgl. Kapitel 3.1.4.3 zur Interaktivität von Medieninhalten). Es bestehen allerdings noch technische Defizite bei der Erstellung von Gesamttexten: Zum einen werden gegenwärtig fast ausschließlich die Distanzsinne (Sehen und Hören) angesprochen, während die Nahsinne (Tasten, Riechen und Schmecken) in den meisten Fällen ungenutzt bleiben (vgl. Pfammatter 1998b: 10). Doelker (1998: 39) stellt zum anderen in der Praxis ,,Defizite an Bildgrammatik" fest: ,,Sobald man mit dem integralen Kode Bild-Wort-Ton arbeitet, wird spürbar, daß für den Umgang mit wortsprachigen Texten auf eine vielfältig elaborierte Theorie (Semiotik, Linguistik, Grammatik) rekurriert werden kann und daß dagegen für den Gebrauch von Bild kaum umfassende Bildtheorien oder Bildgrammatiken verfügbar sind. Ausgerechnet in unserem `optischen Zeitalter' (Karl Pawek) werden Bildtexte meistens `spontan' und deshalb oft nicht mit der erforderlichen Qualität produziert." >>94<< Für den Multimediaentwickler bietet es sich an, auf bereits produzierte Medieninhalte zurückzugreifen. Oftmals ist die Einbindung von bereits bestehenden Werken sogar aus künstlerischen Gründen oder aus Gründen der Authentizität unvermeidlich. Da in der Regel eine große Zahl kleinerer Fragmente von vielen Werken in einem Multimediawerk kombiniert wird, stellt die Akquisition der entsprechenden Nutzungsrechte einen erheblichen Aufwand dar. Die Transaktionskosten der Rechteakquisition sind auch deshalb besonders hoch, weil viele Urheber ihre Rechte persönlich statt durch die eine Verwertungsgesellschaft ausüben. (Vgl. LAB 1995) 3.1.3 Online statt trägergebunden Die Universalität des digitalen Kodes ermöglicht es, jeden beliebigen Medieninhalt mit Hilfe drahtgebundener oder drahtloser Telekommunikationstechnologien zu übertragen. Materielle Trägermedien werden daher für den Vertrieb von Medieninhalten nicht mehr benötigt. Aufgrund seiner vielfältigen Vorteile ist zu erwarten, dass sich der Online-Vertrieb gegenüber dem trägergebundenen Vertrieb durchsetzen wird. Voraussetzungen dafür sind vor allem (1) die in Kapitel 3.1.1.2 vorgestellten technischen Möglichkeiten zur Sicherung des Urheberschutzes (online erhaltene Inhalte sind sehr viel bequemer zu kopieren als wenn sie auf einem gesonderten Trägermedium vorliegen) und (2) die erfolgreiche Weiterentwicklung der in Kapitel 3.1.5 diskutierten technischen Infrastruktur der Neuen Medien. 3.1.3.1 Entfallen der Trägerkosten Während Online-Medien nur einmalige Investitionen der Nachfrager in die Wiedergabegeräte sowie Datenübertragungskosten zahlen müssen, werden andererseits erhebliche Kosten eingespart, die mit dem trägergebundenen Inhaltevertrieb verbunden sind. Zum großen Teil bestehen diese Aufwendungen in Transaktionskosten, und sie entfallen mit der Online-Übertragung auf drei Stufen des Inhaltevertriebs: (1) Es erübrigt sich die Produktion von Trägermedien, die vor allem im Printbereich für einen erheblichen Anteil an den Gesamtkosten der Inhaltevertriebs verantwortlich ist. Zugleich verschwindet der transaktionskostenbedingte Zwang zur Bündelung verschiedenster Inhalte in einem Vervielfältigungsstück, weil nur so eine kosteneffiziente Massenproduktion von Trägermedien erreicht werden kann. (Vgl. Kapitel 2.4.2) (2) Es entfällt der Vertrieb von Trägermedien, welcher zumindest im Printbereich in Form der Handelsspannen und des Remissionsaufwands etwa die Hälfte der gesamten Kosten ausmacht. Auch in anderen Bereichen können erhebliche Kosten, die auf die Trägermedienbindung der Inhalte zurückgeführt werden können, eingespart werden: So wird für Computerprogramme geschätzt, dass der Vertrieb durch einen traditionellen Einzelhändler etwa 15 >>95<< US$ kostet, während der Online-Vertrieb mit 20-50 Cent pro Transaktion nahezu kostenlos erfolgt (vgl. Wyckloff 1997: 7), und für den Bereich des Videokassettenverleihs wird vermutet, dass ,,von den zwölf Milliarden Dollar, die die US-Videoverleiher jährlich umsetzen, drei Milliarden als Verspätungszuschläge gezahlt [werden]" (Negroponte 1995: 22). Diese materiellen Einsparungen der Nachfrager werden ergänzt durch Einsparungen eher immaterieller Transaktionskosten, welche vor allem mit dem Aufwand des Inhalteerwerbs zusammenhängen. Im Rahmen einer Analyse von Video-auf-Abruf-Diensten liefert Schauz (1997: 14-16) eine umfassende Analyse dieser Mehrwerte, welche zusammengefasst werden können als · die unbegrenzte Freiheit der zeitlichen
Nutzung, da der Online-Vertrieb keinen Ladenschluss kennt; (3) Schließlich entfallen für die Nachfrager die Kosten der Lagerung und Entsorgung von Trägermedien. Besonders für Musikliebhaber und Vielleser stellt der Platzbedarf der Bücher und Compact Disks eine Herausforderung dar, und schnell wachsen die Probleme, einen gewünschten Titel aufzufinden. Zudem stehen viele Zeitungsleser aus ökologischen Gründen den dicken Ausgaben und Beilagen kritisch gegenüber, zumal sie sich nur für einen verschwindend geringen Teil der gedruckten Inhalte interessieren (vgl. Geretschlaeger und Leinschitz 1993b: 518f). 3.1.3.2 Information ohne physische Grenzen Die traditionellen, per Rundfunk oder dauerhafte Trägermedien verbreiteten Inhalte unterliegen einer grundsätzlichen physischen Begrenzung: Beim Rundfunk kann zu einem Zeitpunkt nur eine begrenzte Anzahl von Programmen empfangen werden, und das Konsumverhalten hat sich nach dem zeitlichen Programmschema zu richten. Dauerhafte Trägermedien lassen zwar einen zeitlich unabhängigen Zugriff zu, doch ihre Inhalte veralten. Die Inhalte in den Online-Medien stehen dagegen jederzeit und in ihrer aktuellsten Fassung allen Nutzern zur Verfügung. (Vgl. Sennewald 1998) >>96<< Weitere Nachteile gegenüber den Online-Medien bieten die traditionellen Medien, weil sie in ihrem Umfang begrenzt sind. Besonders deutlich ist dies bei der Nutzung von Nachschlagewerken, welche entweder eine große ,,Breite" an Fachgebieten abdecken oder in großer ,,Tiefe" detaillierte Information enthalten, niemals aber beides zugleich. Bei einem Online-Vertrieb bestehen diese Grenzen nicht mehr: Ohne beständig die Inhalteträger zu wechseln, beziehen die Nutzer die gewünschten Inhalte von ,,einem ständig wachsenden Netz rechnerabhängiger Systeme, deren Kapazität letztendlich grenzenlos ist." (Negroponte 1995: 89- 90) Ein Beispiel für diese Entwicklung bietet die Encyclopaedia Britannica Online: Sie bietet selbst schon wesentlich mehr Informationen, als auf Trägermedien (CD-ROM oder Bücher) unterzubringen wären, und ist darüber hinaus über unzählige hyperlinks (Verknüpfungen) mit weiteren Quellen im Internet verbunden (siehe www.britannica.com). 3.1.4 Individualisierung des Inhaltekonsums 3.1.4.1 Asynchronisierung des Inhaltekonsums Die vor allem beim Rundfunk, aber auch bei den Printmedien erzwungene Gleichzeitigkeit der Nutzung von Medieninhalten gibt es in den Neuen Medien nicht mehr, da die technischen Verbreitungsmöglichkeiten nicht mehr durch die Frequenzknappheit oder durch den Zwang zur getakteten Massenproduktion von Vervielfältigungsstücken begrenzt sind. Die Inhaltenutzer werden sich dann unterhalten oder informieren, wann sie es wollen, und nicht dann, wenn ein interessanter Film gesendet, die neue Zeitung geliefert oder ein aktueller Hintergrundbericht abgedruckt wird. Nur noch solche Inhalte, deren synchrone Rezeption positiv zum Nutzungserlebnis beiträgt (zum Beispiel bei Sportereignissen oder Live-Shows), werden von allen Interessierten gleichzeitig konsumiert werden. (Vgl. Noam 1995) Die Neuen Medien verdrängen auch die passive Fernsehnutzung, da die Inhaltenutzung eine aktive Auswahl aus dem Angebot und die zeitliche Abstimmung der Nutzung mit anderen Aktivitäten erfordert. Mit ihrem ,,Hol-Charakter" unterscheiden sich die Neuen Medien deutlich vom den traditionellen Medien mit ihrem ,,Bring-Charakter". Während die Nutzung letzterer oftmals eher davon abhängt, dass man Zeit für den Konsum hat als dass brauchbare Inhalte angeboten werden, ist dies in den Neuen Medien umgekehrt. (Vgl. Schauz 1997: 28) Ebenso wie die Delinearisierung ist auch die Asynchronisierung des Inhaltekonsums scheinbar ein natürliches Bedürfnis des Menschen. Dies deuten die Entwicklung der Schrift zur Fixierung des gesprochenen Wortes ebenso wie die Siegeszüge von Anrufbeantwortern oder Videorekordern an, wobei die Neuen Medien dieses Ziel offensichtlich am besten erreichen. (Vgl. Gates 1995: 103; Rötzer 1996: 77) >>97<< 3.1.4.2 Interaktive Nutzung nicht linearer und vernetzter Inhalte Im allgemeinen bieten die Inhalte in den Neuen Medien schon deshalb einen Nutzenmehrwert, weil jedes Fragment unmittelbar zugänglich ist und jederzeit einzeln aufgerufen werden kann. Zum Beispiel können einzelne Stichwörter in einem schriftlichen Text gefunden werden, ohne gleich ein ganzes Buch durchblättern zu müssen; ebenso kann in einem Film jede beliebige Sequenz aufgerufen werden, ohne minutenlang eine Kassette spulen zu müssen. Darüber hinaus können sich die Inhalte in den Neuen Medien jedoch auch den Bedürfnissen des Nutzers anpassen, wenn sie entsprechend technisch ausgestattet sind. Diese technische Ausstattung besteht entweder (1) im Angebot an den Nutzer, durch bewusstes Aktivieren von hyperlinks seine Wünsche an den sogenannten Hypertext aktiv zu äußern oder (2) in der Fähigkeit des Dokuments, durch den Gebrauch von technischen Sensoren selbständig die Entwicklung der Nutzeraufmerksamkeit festzustellen und entsprechend zu reagieren. Während der Einsatz von Hyperlinks schon sehr verbreitet ist, befindet sich die selbständige Sensorik von Dokumenten jedoch noch in der Frühphase der Entwicklung - herkömmlichen Anwendergeräten fehlt bislang jegliche Möglichkeit, Interesse, Langeweile, Aufregung, Ablenkung oder selbst die Anwesenheit der Nutzer wahrzunehmen.49 Die Interaktivität der Inhalte ermöglicht es, jene Teile eines Dokuments zu erweitern, welche auf besonderes Interesse stoßen, und andere Teile abzukürzen, wenn dies dem individuellen Nutzer Vorteile bietet; auch können Hintergrundinformationen und Verweise geboten werden. Zudem verlieren die Dokumente in den Neuen Medien den Zwang zur Linearität, welcher in den traditionellen Medien die Möglichkeiten zur Darstellung komplexer Zusammenhänge stark einschränkt. Hyperlinks lassen sich daher in die Tradition älterer Techniken von schriftlichen Texten (Fuß- und Endnoten, Querverweise, Sachregister) einordnen, welche das schon immer bestehende Bedürfnis nach Delinearisierung von vielen Medieninhalten andeuten. (Nickl 1998: 393) Auch Romane, Spielfilme und Musik werden in den Neuen Medien nur soweit ihren linearen Charakter behalten, wie dieser zu ihrem künstlerischen Ausdruck gehört (Gates 1995: 174f). Die Delinearisierung der Inhalte in den Neuen Medien muss sich nicht notwendigerweise auf die Nutzung eines einzelnen Dokumentes beschränken, da hyperlinks auch auf andere Dokumente verweisen können. Mit dieser Vernetzung der Dokumente wird die physische Begrenztheit der traditionellen Medien (vgl. Kapitel 3.1.3.2) endgültig durchbrochen, da so alle Dokumente zu einem einzigen Dokument mit praktisch unbegrenzter Kapazität verwachsen können. >>98<< Mit der Delinearisierung und Vernetzung der Inhalte bieten die Neuen Medien entscheidende Möglichkeiten zur Steigerung des aus den Inhalten erzielten Nutzens. So habe Hypertext eine ,,hohe kognitive Plausibilität bei der Darstellung von Wissen", fördere die Kreativität des Nutzers und sei sowohl leicht zu handhaben als auch extrem flexibel bei der Darstellung von Inhalten (Pfammatter 1998a: 47). Für Lernsituationen bieten Hypertexte einen vielfältigen Nutzen, da sie ,,herkömmliche Lehr- und Lernmittel optimal ergänzen, bzw. in Kontexten, in denen ein bestimmtes Vorwissen und eine hohe Lernmotivation vorhanden sind, sogar die bessere Alternative gegenüber Büchern darstellen." (Pfammatter 1998a: 74f) Von dieser reaktiven Interaktivität der Inhalte, bei der die Dokumente auf die Wünsche und Bedürfnisse individueller Nutzer reagieren, lässt sich noch die volle Interaktivität der Medien unterscheiden. Mit ihr bezeichnet man die Einfachheit, selbst zum Anbieter von Inhalten zu werden, mit Kommentaren oder Ergänzungen auf andere Inhalte zu antworten und Verknüpfungen zu diesen herzustellen oder selbst neue inhaltliche Impulse zu geben. Bullinger und Mestmäcker (1997: 20f) sehen daher in den Neuen Medien einen fließenden Übergang vom ,,Sich-Informieren" zum Informieren, und Maier-Rabler und Sutterlütti (1996: 124f) konstatieren, dass die klassische kommunikationswissenschaftliche Unterscheidung zwischen Sender und Empfänger in den Neuen Medien hinfällig wird. An die Vernetzung der Dokumente und an die interaktive Vernetzung der Nutzer werden weitere hohe Erwartungen an die Zunahme des von den Menschen erzielten Nutzens geknüpft. So spricht Kahin (1997: 174f) von einer Implosion des Verhältnisses Kosten/Wert, da Hypertext zum Netz werde, ,,das die Nutzer mit allen Ressourcen der Welt verbindet: Menschen, Organisationen, Informationen, Dienste." Der amerikanisch-chinesische Wirtschaftsphilosoph John Kao erwartet darüber hinaus, dass ,,die menschliche Kreativität exponentiell in dem Maße wachse, in dem alle Menschen und Meinungen in einem Netzwerk verfügbar seien und gehört werden könnten", und auf den Netzwerkentwickler Robert Metcalfe geht die Behauptung zurück, dass ,,der Wert eines Netzwerkes exponentiell mit dem Quadrat aller Nutzer eines Netzwerkes wächst." (Borchers 1998: 75) 3.1.4.3 Ausfall der Massenmedien als soziale Integratoren Die zunehmende Individualisierung des Medienkonsums wurde schon von McCombs (1972) erwartet. Zwar sollte sich an der Produktion der für die Massen bestimmten Botschaften kaum etwas ändern, doch werde der Konsum ungebündelt und asynchron erfolgen: ,,Each individual can structure his own individual `mass' communication. From the audience viewpoint, what was mass communication may become a more personal and individual thing." (McCombs 1972: 60) In der Tat erfolgte die Individualisierung des Inhalte- >>99<< konsums nicht erst mit der Entwicklung des digitalen Online-Vertriebs, sondern graduell schon mit der zunehmenden Zahl von Zeitschriften, Rundfunksendern, Programmwiederholungen und Videotextangeboten (vgl. Bullinger und Mestmäcker 1997: 21f). Aufgrund der Individualisierung des Inhaltekonsums stößt der kommunikationswissenschaftliche Begriff ,,Massenmedium" bei der Beschreibung der Neuen Medien an seine Grenzen. Zum einen kann nur anhand der konkreten Situation, nicht aber anhand einfacher technischer Merkmale zwischen Vorgängen der Massenkommunikation und solchen der Individualkommunikation unterschieden werden (vgl. Morris und Ogan 1996: 42). Bullinger und Mestmäcker (1997: 17) schlagen daher vor, von einer ,,Verschränkung von technischen Formen überindividueller und individueller Kommunikation" zu sprechen. Hier ersetzt ein ,,gestückelter" Informationsabruf die von den klassischen Medien betriebene ,,Gesamtversorgung mit politisch-kulturellen Informationen". Die Individualisierung der Inhaltenutzung bedeutet die (Rück-)Gewinnung einer Informationsfreiheit, welche durch die technischen Zwänge der traditionellen Massenmedien eingeschränkt wurde (vgl. Gauron 1996: 27). Die Neuen Medien unterscheiden sich daher von den traditionellen Medien wie der Individualverkehr von den Massentransportmitteln: Beim Individualverkehr gibt es keine zentrale Steuerung, einen Fahrplan und bestimmte Zeiten und Orte, an denen man zu- oder aussteigen kann, ebenso wenig gibt es in den Neuen Medien einen Programmablauf und eine vorgegebene Linearität oder Struktur des Inhaltekonsums (Rötzer 1996: 75). Noam (1995) fasst die Zukunft des Inhaltekonsums zusammen in dem Bild des ,,persönlichen Kanals" (,,me-channel", ,,Kanal ich" oder ,,canal moi"): ,,The simultaneous mass medium experience will be replaced by individualized experience. This is not just narrow-casting. It is custom-casting." Mit den Neuen Medien verschwindet auch das massenmediale Phänomen, dass ganze Nationen zur gleichen Zeit die gleichen Inhalte aufnehmen. Diese Informationssynchronisierung, welche es vor der Entwicklung des Rundfunks und der Tageszeitung nicht gab, bietet nicht nur eine oberflächliche Stimulanz für gesellige Gespräche, sondern konfrontiert die Rezipienten auch mit zufälliger, nicht gesuchter Information. Diese ,,Reibungsverluste" (Dyson 1997: 16) zwingen uns in den traditionellen Medien, auch solche Informationen und Meinungen aufzunehmen, die von unseren vorgefassten Weltbildern abweichen (vgl. Kapitel 2.2.8 zum Streben nach kognitiver Konsonanz). In den Neuen Medien ist es dagegen viel einfacher, ,,Abweichendes" automatisch auszublenden und einer Auseinandersetzung damit zu entgehen (vgl. Dyson 1997: 16f). Traditionelle Gemeinschaften, welche sich über nationale oder territoriale Merkmale definieren, sind jedoch auf eine ständige Bearbeitung der internen Meinungsdifferenzen angewiesen, um keine gefährlichen Spannungen entstehen zu lassen. Da man in den Neuen Medien einer solchen Auseinander- >>100<< setzung leicht ausweichen kann, werden diese Gemeinschaften möglicherweise destabilisiert. (Vgl. Noam 1995) 3.1.5 Technische Infrastruktur der Neuen Medien 3.1.5.1 Das Internet als Prototyp der neuen Vertriebsstruktur für Medieninhalte Wenn man von den Neuen Medien spricht, so steht meistens das Internet im Zentrum des Interesses - es ist praktisch zum Symbol der Neuen Medien geworden (Europäische Kommission 1997a: 6; Booz·Allen & Hamilton 1997b: 40). Das Internet gilt als das erste ,,neue Medium", welches erstmals seit der Erfindung von Fernsehen und Radio neben der Zeitung zum Publizieren geeignet ist, ohne - wie Telefaxgeräte - auf Punkt-zu-Punkt Kommunikation angewiesen zu sein (Kahin 1997: 176). Allgemein wird erwartet, dass die Architektur des Internets die Grundlage für die Telekommunikationsnetzwerke der Zukunft sein wird (vgl. Booz·Allen & Hamilton 1996; Noam 1995). Über drahtgebundene oder drahtlose Telekommunikationsverbindungen und unter Nutzung zwischengeschalteter Netzwerke kann jeder angeschlossene Computer mit jedem anderen Kontakt aufnehmen, ohne eine direkte Verbindung herstellen zu müssen. (Vgl. Gates 1995: 425) Netzaufbau und Netzentwicklung des Internets werden wesentlich durch seine Dezentralität bestimmt: ,,The switching function is performed by decentralized routers, and intelligence is distributed throughout the network to smart clients and servers built using standard (low-cost) components to an open architecture. Services are software-defined; the underlying computing and transport platforms are generic." (Booz·Allen & Hamilton 1996) Diese Dezentralität wird für den Erfolg des Internets verantwortlich gemacht, und es wird erwartet, dass sich diese Struktur langfristig in allen Bereichen der Telekommunikation durchsetzt (vgl. Booz·Allen & Hamilton 1996; Europäische Kommission 1997a: 6f; Noam 1995). Die Geschichte des Internets begann im Jahr 1969 mit dem ARPANET-Projekt des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums.50 Die ursprünglich rein wissenschaftlich/militärische Orientierung verlor das Internet mit der Entwicklung des World Wide Web (WWW) am Genfer Kernforschungszentrum CERN im Jahr 1990. Mit dem WWW wurde die direkte Vernetzung der Dokumente durch die auf Nutzerwünsche reagierenden hyperlinks möglich. Zu der mit der Vernetzung und Interaktivität der Dokumente verbundenen Nutzensteigerung der bereitgestellten Dokumente kam auch eine entscheidende Vereinfachung der Netznutzung: Statt über besondere Befehle entfernte Computer zur Übertragung bestimmter Daten zu veranlassen ist es >>101<< im WWW möglich, sich allein mit der Computermaus durch das Netz zu ,,klicken" und Dokumente aufzurufen. 1992 fand das WWW eine erste Anwendung in einem Serverprogramm (welches die Dokumente auf Abruf sendet) und in einem (noch text-orientierten) browser (Betrachterprogramm). Für Personalcomputer gab es 1993 mit Mosaic den ersten grafikorientierten (und damit sehr bedienungsfreundlichen) browser, der seit 1994 weitgehend durch den Netscape Navigator und seit 1996 zusätzlich auch durch den Microsoft Internet Explorer mit jeweils ständig verbesserten Versionen am Markt ersetzt wurde. (Recke 1998: 46f) Auf die Entwicklung des WWW gehen die eindrucksvollen Steigerungen der Nutzerzahlen im Internet zurück: In Deutschland gibt es im Jahr 2000, acht Jahre nach der Einführung des WWW, bereits 19,1 Millionen Internetnutzer, und in den U.S.A. allein 135,7 Millionen. Allerdings gehen die Schätzungen über die zukünftige Geschwindigkeit der Internetentwicklung auch weit auseinander. Von schätzungsweise 374,9 Millionen Nutzern in 2000 werde die weltweite Internetpopulation auf 490 Millionen bis 2002 (Computer Industry Almanac), auf 641 Millionen bis 2004 (eMarketers November 2000 eGlobal Report), oder auf eine Milliarde bis 2005 (Angus Reid Group Toronto) wachsen.51 Nicht nur die Nutzerzahlen steigen, sondern auch die Nutzungsintensität jedes einzelnen Nutzers nimmt zu, während Zahl und Qualität der bereitgestellten Angebote steigen. So stieg in den U.S.A. die Zeit, die Internetnutzer pro Woche online verbrachten, von 241 Minuten im Januar 1998 auf 548 Minuten im Juli 1999 (Odyssey, L.P. Homefront Studie).52 Diese Tendenz wird von der im Folgenden vorgestellten technischen Entwicklung unterstützt, welche den dezentral strukturierten Netzwerken auch zunehmend datenintensive und mobile Anwendungen ermöglichen wird. 3.1.5.2 Übertragungskapazitäten der Infrastruktur Ein wichtiger begrenzender Faktor bei der Entwicklung von Online-Medien ist die Kapazität der Übertragungswege, die sogenannte Bandbreite. Sie begrenzt die maximal mögliche Datenmenge, die pro Zeiteinheit bei einer Verbindung übertragen werden kann. Die gegenwärtig unter den Übertragungen im Internet bei weitem dominierenden Medieninhalte sind die sogenannten Webseiten, welche in der Hypertext Markup Language (HTML) geschrieben sind. HTML-Seiten bestehen aus einfachen Schriftzeichen und kommen in der Regel mit einem Datenvolumen zwischen fünf und fünfzig Kilobyte aus. Oft >>102<< sind in einem HTML-Dokument auch Graphiken, Bewegtbilder oder Töne (Multimediaanimationen) sowie kleine selbständig laufende Programmpakete eingebettet, welche die Datenmenge erheblich erhöhen können. Mit einem herkömmlichen Computermodem, welches gesendete Dateien für das zur Übertragung genutzte analoge Telefonnetz moduliert und die empfangenen Signale in digitale Dateien demoduliert, sind diese relativ kleinen Dokumente noch schnell zu übertragen: Bei einer Übertragungsgeschwindigkeit von 56 000 Bits pro Sekunde kann eine Webseite mit 20 Kilobytes (entspricht 160 000 Bits) innerhalb von drei Sekunden übertragen werden. Sollen jedoch andere Dateien übertragen werden, so gerät die weit verbreitete Übertragung über Analogmodems an ihre Grenze. So dauert die Übertragung von einer Minute Musik im populären MP3-Format bei annähernder CD-Qualität auch unter optimalen Bedingungen bei 56 000 Bits pro Sekunde etwa zweieinhalb Minuten. Ein neunzigminütiger, digitalisierter und nach dem verbreiteten MPEG-2 Standard komprimierter Film in VHS-Qualität benötigt sogar ermüdende sechzig Stunden zur vollständigen Übertragung.53 Ein erster Lösungsansatz zur Erweiterung der den Online-Nutzern zur Verfügung stehenden Bandbreite war ISDN (Integrated Services Digital Network). Mit 64 000 Bits pro Sekunde erreicht ISDN eine höhere Übertragungsgeschwindigkeit als die schnellsten analogen Modems, zudem können zwei Kommunikationskanäle auf einmal genutzt werden, womit sich 128 000 Bits pro Sekunde erreichen lassen. Deutschland ist jedoch nahezu das einzige Land, in dem ISDN bei der Internetnutzung eine wesentliche Rolle spielt. Hier wählen 38% aller Onlinenutzer ISDN als Zugang zum Internet, und 52% nutzen die analoge Einwahl über ein Modem. 10% der Internetnutzer machen Gebrauch von anderen breitbandigen Technologien, die in anderen Ländern bei der Breitbandnutzung des Internets dominieren und denen aufgrund ihrer technischen Leistungsfähigkeit auch in Deutschland das größte Wachstum vorausgesagt wird. (Vgl. Cyberatlas 2000a) Die fast überall vorhandenen zweiadrigen Kupferkabel des Telefonnetzes können mit der ADSL-Technologie (asymetrical digital subscriber line) mit einer erheblichen Bandbreite ausgestattet werden. Der Empfang von Daten ist dann - je nach Länge des Übertragungsweges - mit bis zu acht Millionen Bits pro Sekunde möglich, und selbst das Senden von Daten ist je nach Konfiguration mit einem mehrfachen der ISDN-Leistung möglich. Während Daten übertragen werden, kann sogar noch ganz normal telefoniert werden, wenn mit Hilfe eines splitters die analogen oder ISDN-Signale des Telefongesprächs aus dem Datenstrom herausgefiltert werden. In den U.S.A. >>103<< nutzen 1,4 Millionen Haushalte diese Technologie im Jahr 2000, und in 2004 werden es 9,8 Millionen sein (Cyberatlas 2000b). Mittelfristig wird der Datenübertragung über die Koaxialleitungen des Fernsehkabelnetzes größere Bedeutung beigebemessen als der ADSL-Technologie. Im Gegensatz zu ADSL hat hier kein Teilnehmer einen exklusiven Zugriff auf die Bandbreite, welche aufgrund der hohen Leistungsfähigkeit des Koaxialkabels wesentlich höher ist als bei ADSL. Statt dessen wird die Bandbreite von allen Nutzer geteilt, welche gemeinsam an einem Kabelstrang angeschlossen sind. Je nach Nutzungsintensität und Ausbaugrad des Fernsehkabels sowie der Modemkapazität sind technisch bis zu 36 Millionen Bits pro Sekunde an einen Nutzer übertragbar. (Buchholz 1997) In der Praxis berichten Nutzer jedoch zumeist eher von Geschwindigkeiten zwischen 400 000 und 1,4 Millionen Bits pro Sekunde (Langa 1999). In den U.S.A. nutzen 3,3 Millionen Haushalte ein Kabelmodem für den Internetzugang, und nach Schätzungen der Gardner Group werden es in 2004 14 Millionen sein (Cyberatlas 2000b). Die Nutzung der Stromnetze zur Versorgung der Haushalte mit großen Datenübertragungskapazitäten hat möglicherweise ebenfalls eine große Zukunft. Aufgrund des Stromnetzanschlusses aller Haushalte und der möglicherweise sehr einfachen und - gegenüber dem Telefonnetz - sehr kostengünstigen Nutzung räumt Lübcke (1998) dem Online-Anschluss über das Stromnetz mittelfristig sogar größere Marktchancen ein als ADSL. Allerdings gibt es offenbar immer noch technische Schwierigkeiten, und Berichte über einen erfolgreiche kommerziellen Einsatz stehen noch aus. Neben den drahtgebundenen Übertragungstechnologien gibt es auch noch eine Vielzahl von denkbaren Möglichkeiten, das elektromagnetische Spektrum zur Datenübertragung zu verwenden. Ihre besondere Bedeutung liegt darin, dass sie den Mehrwert der Online-Verfügbarkeit von Medieninhalten unabhängig von einem "on-line"-Anschluss bieten. Besondere Erwähnung verdient dabei erneut die Fähigkeit digitaler Medieninhalte, in Datenpakete zerlegt zu werden. Hiervon wird in den Mobilfunknetzen der sogenannten Dritten Generation (UMTS und andere Standards) genutzt um zur Verfügung stehende Frequenzen einer Vielzahl von Nutzern flexibel zur Verfügung zu stellen. Dadurch können bei Bedarf einem Nutzer auch hohe Bandbreiten zur Verfügung gestellt werden, während andere Nutzer zur gleichen Zeit und im gleichen Netz nur sehr geringe Bandbreiten beanspruchen und bezahlen müssen. Bei der Entwicklung der Nutzungsintensität, die mit der erheblichen Erweiterung der den Haushalten angebotenen Bandbreite zu erwarten ist, stellt sich möglicherweise die Frage, ob dies nicht zu Übertragungsengpässen im backbone, den gebündelten Fernverbindungen der Datennetze, führen wird (vgl. Lübcke 1998). Falls hier ein Problem auftauchen wird, ist dies jedoch nicht mit dem Bandbreitenengpass zu den Haushalten vergleichbar, wo man >>104<< eine Zeit lang allein in der flächendeckenden, sehr kostspieligen Glasfaserverkabelung eine Lösung der Übertragungsengpässe sah. Im Gegensatz dazu sind die zahlenmäßig sehr viel überschaubareren backbones vergleichsweise schnell, preiswert und vor allem mit bekannter Technologie ausbaufähig. Zudem wird weiter an einer Verbesserung der Übertragungstechnologien gearbeitet, was die Kapazität der im backbone eingesetzten Glasfaser schon in der Vergangenheit mehrmals vervielfacht hat (vgl. Europäische Kommission 1997a: 4). Das einzige Anwendergerät, welches sich aufgrund seiner technischen Leistungsfähigkeit uneingeschränkt für den interaktiven Online-Vertrieb von Medieninhalten eignet, ist der Personalcomputer (PC). Bei ständig fallenden Preisen werden diese Geräte immer besser ausgestattet; voll multimediataugliche Geräte kann man für weit unter 2 000 DM kaufen. Verschiedene Schwachpunkte des PCs als Zugangsmedium bieten Chancen für andere Technologien, in der Zukunft ebenfalls eine erhebliche Bedeutung bei der Nutzung der Neuen Medien zu spielen: · Für das Lesen von längeren
Texten ist der PC Bildschirm ungeeignet da er die Augen vieler Menschen
schneller ermüdet als Papier. Sowohl die am Massachusetts Institute
of Technology gegründete Firma E Ink als auch Rank Xerox
arbeiten an einer auf Kunststofffolie aufgetragene ,,elektronische Tinte",
welche partikelweise wie die Pixel eines Computerbildschirms an- und
abgeschaltet werden kann. Damit würde der Leser eine papierähnliche
Oberfläche mit der Funktionalität eines Computerbildschirms
erhalten. (Vgl. Lemons 1998) 46 Ein frühes Beispiel dieser Technologie ist das serial copy management system (SCMS), welches bei digitalen Musikrekordern (DAT oder MiniDisk) keine digitale Kopie von einer selbst erstellten digitalen Kopie zulässt. Für digitale Videoaufnahmen einigten sich Mitte Februar 1999 IBM, NEC, Hitachi, Pioneer und Sony auf einen watermarking-Standard, der (1) das Anfertigen digitaler Kopien unmöglich machen wird, (2) vielfältige Kompressionsprozesse und Formatumwandlungen übersteht und (3) analoge Kopien zwar zulässt, aber immer noch verhindert, dass von diesen analogen Kopien erneut digitale Kopien angefertigt werden können. Laut Herstellerangaben sollen im Jahr 2000 die ersten Geräte und Videos angeboten werden, die diesen Standard nutzen. (Fixmer 1999) 47 Eine Darstellung der Codes, die zur eindeutigen Identifizierung urheberrechtlich geschützter Werke (analog und digital) dienen, findet sich in Green und Bide (1997). Ruanaidh, Boland und Sinnen (1997) stellen verständlich dar, auf welche Art und Weise die technische Umsetzung beispielsweise beim watermaring von digitalisierten Bildern erfolgt. Verschiedene staatliche und non-gouvernementale Einrichtungen bemühen sich um die Standardisierung von Identifizierungssystemen als Grundlage des watermarking; die Europäische Kommission (1996: 15) nennt hier beispielhaft die Organisationen ISO/IEC, DAVIC, CISAC, CITED/COPICAT und IMPRIMATUR. Zur weiteren Information bietet sich das Angebot von IMPRIMATUR im Internet an, zu finden unter http://www.imprimatur.alcs.co.uk/. 48 ,,Text" bedeutet im Sinne Doelkers nicht nur die schriftliche Darstellung von Wörtern und Satzzeichen: ,,Wir gehen damit von der ursprünglichen Bedeutung von lateinisch textum `Gewebe, Gefüge' (texere = weben, flechten, verfertigen) aus. Ein `Gefüge' entsteht dann [. . .] auch durch das Zusammenfügen von visuellen Texten (im Sinne von Standbild und Bewegtbild) und auditiven Texten (im Sinne von Sprechtexten, Musik und Geräuschen) und audiovisuellen Texten (aus Bild-, Wort- und Tonsträngen)." (Doelker 1998: 37) 49 Zu ersten Vorschlägen und Entwicklungen, wie Computer oder auch Videorekorder die Gefühlswelt der Nutzers beurteilen und darauf reagieren können, vgl. (Adolph 1998). 50 ARPA steht für Advanced Research Project Agency, der für das Projekt zuständigen Stelle im US-Verteidigungsministerium (Gates 1995: 426). 51 Neben dem WWW gibt es noch weitere sogenannte Dienste des Internets, welche ebenfalls erheblich für die Anziehungskraft des Internets verantwortlich sind. Zu nennen sind hier zum Beispiel Email, Internettelephonie, oder auch Musiktauschdienste wie Napster. 52 Alle Daten können bequem bei www.cyberatlas.com abgerufen werden. Der Übersichtlichkeit halber werden die vielen Einzelquellen nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt. |
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